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Fehler gehören an die Börse wie Volatilität zum Chart. Rückblickend sind sie das, was am meisten schmerzt – aber auch am meisten lehrt. Ich habe in den letzten Jahren bewusst viele Strategien ausprobiert, um mein eigenes System zu entwickeln. Dabei waren einige Volltreffer – aber eben auch Fehlgriffe, die mir gezeigt haben, was langfristig wirklich zählt.
Dieser Beitrag richtet sich vor allem an neue Investoren. Ich hoffe, euch damit den ein oder anderen teuren Fehler zu ersparen – oder zumindest zu zeigen, worauf es wirklich ankommt, wenn man nachhaltig investieren möchte.
Fünf Beispiele sind besonders prägend. Sie markieren die Wendepunkte, an denen ich vom reinen Renditejäger zum strukturierten Investor wurde.
1. Historische Performance überbewertet
Mein Einstieg in den $INRG (+5,56 %) (iShares Global Clean Energy ETF) war im Rückblick fast schon lehrbuchhaft schlecht getimt. Ich kaufte, als die Story perfekt klang: Energiewende, politische Rückenwinde, ESG-Gelder, grüne Euphorie. Der Kurs stand nahe dem Allzeithoch, die Fondsanbieter überboten sich mit Zukunftsversprechen.
Ich ließ mich blenden – nicht von Fundamentaldaten, sondern von Charts und Schlagzeilen. Das ETF-Portfolio bestand überwiegend aus hochbewerteten Solar- und Wasserstofftiteln, deren KGVs jenseits jeder Vernunft lagen. Ich verstand das Produkt nicht wirklich und sah nur die beeindruckende historische Performance.
Nach einigen Monaten lag ich rund –17 % im Minus und realisierte den Verlust – ein klassisches Beispiel für „Past Performance Bias“. Heute notiert der ETF noch einmal deutlich tiefer.
Learning:
Hohe historische Renditen sind kein Argument, sondern eine Warnung. Wenn ein Sektor bereits durch institutionelles Geld überlaufen ist, beginnt die Regression zur Mitte. Seitdem prüfe ich bei jedem Investment die Zusammensetzung, die Bewertungsniveaus und den Zyklus des Narrativs. Ein ETF ist nur so gut wie seine Bestandteile – und Hype ersetzt keine Analyse.
2. Value Trap statt Value Opportunity
$INTC (+4,32 %) (Intel) erschien mir damals als klassische Underperformance-Chance: niedrigeres KGV als $NVDA (+4,33 %) (NVIDIA) oder $AMD (+3,05 %) (Advanced Micro Devices), solider Cashflow, ordentliche Dividende. Ich sah die Zahlen, nicht die Struktur.
Das Unternehmen kämpft seit Jahren mit Innovationslücken, Fertigungsproblemen und einer verschleppten Strategie. Die Margen sanken, die Marktanteile schrumpften – doch die Bewertung wirkte attraktiv. Genau das ist das Wesen einer Value Trap: günstig, weil das Geschäftsmodell an Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Ich hielt zu lange an der These fest und realisierte schließlich rund –21 % Verlust. Trotz des aktuellen Aufschwungs notiert läuft Intel bis heute hinterher, während die Konkurrenten ihren Vorsprung weiter ausgebaut haben.
Learning:
Bewertung allein ist kein Sicherheitsnetz. Günstige Multiples sind oft Symptom, nicht Chance. Ich habe gelernt, dass Kapitalströme, technologische Dynamik und Managementqualität entscheidend sind. Value funktioniert nur dann, wenn das Geschäftsmodell intakt ist – nicht, wenn man auf eine Renaissance hofft, die fundamental nicht belegt ist.
3. „Was fällt, ist günstig“ – der Trugschluss am Beispiel $PYPL (-0,07 %)
(PayPal)
Ein weiterer klassischer Fehler: Der Glaube, dass ein stark gefallener Kurs automatisch ein günstiger Einstieg ist. Nach der massiven Korrektur von PayPal 2021 dachte ich, hier bietet sich eine seltene Gelegenheit. Das Unternehmen war einst überbewertet – keine Frage –, doch ich interpretierte den Rücksetzer als Übertreibung nach unten.
Ich stieg ein, nachdem die Aktie bereits stark gefallen war, und kaufte beim weiteren Rückgang sogar nach. Die Annahme: „So tief wird sie nicht mehr fallen.“ Doch sie fiel weiter – und erholte sich bis heute nicht nachhaltig. Der übertriebene Bewertungsaufschlag aus den Boomjahren war schlicht nicht mehr gerechtfertigt.
Am Ende realisierte ich rund –44 % Verlust. Wahrscheinlich wird die Aktie die alten Hochs nie wieder erreichen, weil sich das Marktumfeld, die Margenstruktur und das Wachstum dauerhaft verändert haben.
Learning:
Ein gefallener Kurs macht eine Aktie nicht automatisch günstig. Man muss prüfen, warum sie gefallen ist – und ob sich die fundamentale Situation verändert hat. Oft folgt auf Übertreibung nach oben eine Überkorrektur nach unten, und die alte Bewertung bleibt für Jahre unerreichbar. Heute investiere ich lieber in Unternehmen, deren Trend intakt ist, anstatt auf „Comebacks“ zu spekulieren.
4. Warnsignale ignoriert – das Beispiel $CLI (+3,71 %)
(Cliq Digital)
Wer CLIQ nicht kennt: Das Unternehmen platziert sich als Streaming-Anbieter – ähnlich wie $NFLX (+0,92 %) (Netflix), nur deutlich nischiger. Auf dem Papier schien alles zu passen: hohe Margen, starkes Wachstum, eine attraktive Dividende und ein kaum beachteter Small Cap mit Potenzial.
Ich sah die Chancen – aber nicht die Widersprüche. Das Geschäftsmodell war schwer nachvollziehbar, das Reporting lückenhaft, und der Short Interest extrem hoch. Trotzdem hielt ich an der Position fest – „weil die Zahlen ja so gut waren“.
Am Ende realisierte ich rund –26 % Verlust, inklusive Dividenden. Heute ist der Wert fast 90 % tiefer.
Learning:
Wenn man ein Geschäftsmodell nicht versteht, ist es keine gute Idee, investiert zu sein. Transparenz ist kein Nice-to-have, sondern ein Muss. Besonders in Small Caps sollte man genau prüfen, ob Wachstum real, wiederholbar und nachhaltig ist. Seit diesem Erlebnis meide ich Geschäftsmodelle, die ich nicht in zwei Sätzen erklären kann – und nehme hohe Short-Quoten als ernstes Warnsignal.
5. Trend verstanden – Umsetzung verfehlt
Ich wollte früh auf den Self-Service-Trend setzen: Terminals für Fastfood-Ketten, Supermärkte, Flughäfen. Ein massiver Wachstumsmarkt – aber ich suchte den falschen Player. Ich fand $M3BK (+0,6 %) (Pyramid), ein kleines deutsches Unternehmen mit Reverse-IPO-Struktur, kaum Investor Relations, geringer Liquidität und intransparenter Bilanz.
Ich investierte, überzeugt vom Trend – nicht vom Geschäftsmodell. Die Aktie fiel über Monate, und ich realisierte rund –34 % Verlust. Heute notiert sie auf Penny-Stock-Niveau.
Learning:
Ein starker Trend allein macht kein gutes Investment. Entscheidend ist, wer in der Wertschöpfungskette den echten Hebel hat. Oft profitieren nicht die sichtbaren Marken, sondern die Schaufelhersteller im Hintergrund – Zulieferer, Infrastrukturunternehmen, Plattformanbieter. Ich habe gelernt, zuerst das Ökosystem zu analysieren und dann die profitabelste Position darin zu suchen.
Übergreifende Learnings
Diese fünf Fehler waren teuer, aber unbezahlbar in ihrer Wirkung. Heute sind sie fester Bestandteil meiner Methodik – sowohl im 10B-Modell (für Wachstumschancen) als auch im Hidden Quality Radar (für Qualitätswerte).
1. Fundament schlägt Narrativ:
Storys sind laut, aber Zahlen sind ehrlich. Ich prüfe heute jedes Investment auf Cashflow-Qualität, Kapitalrenditen und strategische Positionierung – erst dann auf Bewertung.
2. Timing entscheidet – aber nur im richtigen Kontext:
Früher dachte ich, Timing sei unwichtig, Hauptsache langfristig investiert. Heute sehe ich das differenzierter: Der Einstiegszeitpunkt bestimmt maßgeblich das Chance-Risiko-Profil. Wer in Euphoriephasen kauft, zahlt oft Jahre für die Korrektur. Wer dagegen in Übertreibungen nach unten investiert – mit Fundamentalanalyse und Geduld – verschafft sich einen massiven Vorteil. Timing ist also kein Glücksspiel, sondern das Ergebnis von Vorbereitung, Marktbeobachtung und Disziplin.
3. Kleine Verluste akzeptieren:
Disziplin schlägt Hoffnung. Frühes Aussteigen bei Fehlentwicklungen spart Kapital für bessere Gelegenheiten.
Hier möchte ich euch einen tollen Beitrag von @DonkeyInvestor empfehlen: https://getqu.in/eymPwi/
4. Transparenz und Management zählen:
Ich investiere nur noch in Unternehmen, deren Strategie und Kommunikation nachvollziehbar sind. Vertrauen ist kein Bauchgefühl, sondern ein Datenpunkt.
Diese Erfahrungen haben meine heutige Denkweise geprägt: Geduld statt Gier, Qualität vor Bewertung, Verständnis vor Aktionismus. Ich habe gelernt, dass man an der Börse nicht immer recht haben muss – sondern konsistent denken sollte.
Fehler sind unvermeidlich. Aber wer sie ehrlich reflektiert, baut sich mit jeder schlechten Erfahrung ein Stück Kompetenz auf.
Welche Fehler haben euch geprägt – und was habt ihr daraus gemacht?