Vorab: Der Post ist länger geworden als ich ursprünglich geplant hatte, sorry dafür!
Schon länger habe ich mit dem Gedanken gespielt hier auch mal etwas zu Posten… abgesehen von unqualifizierten Kommentaren unter den mühevoll ausgestalteten Beiträgen war ich bisher nämlich sehr still in dieser (meist) großartigen Community. Das Thema Versicherungen wird hier gelegentlich angerissen und führt häufig zu angenehmen Diskussionen und Unterhaltungen im Kommentarbereich. Das erweckt den Eindruck, als gäbe es dort sehr viele Fragen und ein wenig Aufklärungsbedarf. Ich versuche mal mein Glück bei einem der etwas komplexeren Produkte und bemühe mich es (recht vereinfacht) in Grundzügen für die Community zu erklären.
Jetzt aber zum Content:
Die meisten Menschen haben keine Lust auf Versicherungen. Und dann auch noch in Kombination mit einem dieser ETF-Dinger? Teufelszeug, am besten einen weiten Bogen um solche Dinge machen!
Ich bin nicht wie die meisten, ich mag Versicherungen – deshalb bin ich wohl auch Versicherungsmakler. Ich erkläre gern meinen Kunden, was sie vorliegen haben. Ich mag es nämlich, wenn die Leute wissen, was Sie unterschreiben und die Produkte auch verstehen.
Die klassische private Rente und irgendwelche Abarten lasse ich hier außen vor – macht weder Spaß, noch bringt es was. Was ich euch näher erklären möchte: die private Fondsrente. Warum will ich das? Ich freue mich, wenn ich für etwas Transparenz und Aufklärung sorgen kann.
Zusatz: Ich konzipiere die privaten Renten anders als die meisten meiner Kollegen aus der Versicherungsbranche. Dazu aber später mehr.
1. Was ist eine private Rentenversicherung?
Eine private Rentenversicherung (hier: Fondsrente) ist einfach ausgedrückt nichts anderes als ein Fonds-/ETF-Sparplan im „Schutzmantel“ einer Versicherung. Man bespart also mit monatlichen Beiträgen einen ETF. Für niemanden hier Neuland – ETF-Sparpläne hat hier nahezu jeder.
2. Unterschied zum ETF-Sparplan
Im Gegensatz zu einem normalen ETF-Sparplan erwirtschaftet ihr hier geringere Rendite – die Versicherungsgesellschaft will ja auch was verdienen. Dafür habt ihr allerdings Steuervorteile in der Auszahlungsphase. Diese Steuervorteile erhaltet ihr jedoch nur unter zwei Bedingungen: Vertragslaufzeit min. 12 Jahre, Auszahlung nicht vor dem 62. Lebensjahr.
Zudem gilt bei monatlicher Auszahlung die nachgelagerte Besteuerung des Ertragsanteils (abhängig vom Alter). Da ich die Renten etwas ungewöhnlich gestalte, ist für uns nur Teil 1 wichtig, also min. 12 Jahre Laufzeit und 62 Jahre alt.
3. Welche Auszahlungsmöglichkeiten habe ich im Alter?
Option 1: Lebenslange Rente. Es wird monatlich Summe X bezahlt. Finde ich das gut? Nein. Warum finde ich das nicht gut? Weil es in der Regel 25+ Jahre dauert, bis man durch die monatlichen Rentenzahlungen seinen Depotwert im Alter von 67 Jahre ausgezahlt
bekommen hat. Weitere Infos braucht es dazu nicht.
Option 2: Vollständige Kapitalauszahlung. Besteuerung nach dem sogenannten „Halbeinkünfteverfahren“. Bedeutet: Man muss die Hälfte seiner Erträge versteuern. Ihr kennt alle die 26,375% (Kapitalertragssteuer + Soli) – die gibt’s hier nicht. Hier ist euer individueller Einkommenssteuersatz im Rentenalter relevant, der bei den meisten von uns unter diesen 26,375% liegt. Hört sich besser an, aber gefällt mir auch noch nicht so richtig – sind nämlich trotzdem „ordentlich“ Steuern, wenn man eine hohe Summe ausgezahlt bekommt.
4. Was mich an den meisten Rentenversicherungen stört
Stellt euch vor, ihr seid 2022 endlich 67 geworden und eure Versicherung ist „fällig“. Aufgrund hinlänglich bekannter Probleme ist die Lage am Aktienmarkt eher unerfreulich und der Wert eurer Anteile ist ordentlich gesunken. Blöd, dass ihr nicht schon früher 67 geworden seid. ☹ Meistens wird im Alter euer angespartes Kapital umgeschichtet damit alles sicher ist – durchaus sinnvoll. Was schade daran ist: sicher = wenig/keine Rendite mehr. Und dass, obwohl euer Depot zum Rentenbeginn seinen Höchststand erreicht hat. Wäre doch schade, wenn ihr genau da alles rauszieht, fängt jetzt erst an richtig Spaß zu machen! Zudem haben viele Verträge Volumenabhängige Kosten, die finde ich ganz und gar nicht cool.
5. Wie macht das denn doch alles Sinn?
Indem man den Vertrag nicht wie üblich gestaltet. Ich mache es wie folgt:
Punkt 1: Eine Rentenversicherung mit spätem Rentenbeginn und verkürzter Beitragszahldauer. Beiträge gezahlt wird nur bis (i.d.R.) 67. Ab dort zahlt ihr nichts weiter ein und das Geld bleibt im Depot, wo es Rendite erwirtschaftet (umschichten geht natürlich trotzdem – sofern ihr mehr Sicherheit wünscht als bisher). Euer „tatsächlicher Rentenbeginn“ wird aber weiter nach hinten gesetzt – und zwar auf 85-87 Jahre (abhängig von der jeweiligen Gesellschaft, manchmal auch 90 Jahre möglich). Das hat folgende Auswirkungen: Wenn die Kurse euch mit 67 nicht zusagen, oder ihr das Geld gerade nicht braucht, lasst ihr
es liegen.
Punkt 2: Ihr könnt im Alter (kostenfreie) Teilkündigungen(=Auszahlungen) vornehmen. Mehrmals jährlich. D.h. ihr könnt euch genau so viel Geld auszahlen, wie ihr haben wollt/braucht. Die meisten werden im Rentenalter keine Auszahlung von 200.000 oder mehr benötigen. Dort ist für gewöhnlich alles abbezahlt und ihr plant eher keine Immobilienkäufe mehr. So könnt ihr finanzielle Engpässe ausgleichen, Kurssprünge mitnehmen, flexibel im Alter bleiben.
6. Wie siehts denn dann mit den Steuern aus?
Wenn wie unter 5. Beschrieben, zahlt man sich keine 6-stelligen Summen im Jahr aus, sondern bessert nur seine gesetzliche Rente in gewünschtem Maß auf. Dadurch ist die Steuerlast auch um einiges geringer. Das Ganze spielt sich wie folgt ab:
Es wird nicht der gesamte Ertrag (100%) besteuert wie im normalen Depot. Das so genannte Halbeinkünfteverfahren greift hier. Bedeutet: Es werden nicht 100% der Erträge, sondern lediglich 50% mit dem im Rentenalter geltenden Einkommenssteuersatz besteuert. Dazu noch die Teilfreistellung – lassen wir der Einfachheit halber hier aber außen vor.
7. Gibt’s dazu auch mal ein Beispiel? So kapiere ich nix!
Klar, hier mal ein paar Beispiele zum mitrechnen (Teilfreistellung und Freibetrag unberücksichtigt, Rentenbeginn 2040 (=VOLLE Versteuerung der Rente), keine Inflationsberücksichtigung, keine Schätzung zur Erhöhung des Grundfreibetrags, Transaktions-/Depotführungsgebühr ebenfalls ohne Berücksichtigung):
Normales Depot: ETF-Sparplan, völlig stumpf MSCI-World, 6% Rendite p.a. 200€/Monat, Beitragszahldauer 37 Jahre, abzgl. 0,2%TER/Jahr.
Eingezahlte Summe: 37 x 12 x 200€ = 88.800€
Endkapital: 300.947€
Zinsertrag: 212.147€
Ertragsanteil: 212.147/300.947 = 0,705 bzw. 70,5%
Private Rente: MSCI World, 6% p.a., Gesamtkosten i.H.v. 0,5% für Versicherung+ETF, 200€/Monat, Beitragszahldauer 37 Jahre.
Eingezahlte Summe: 37 x 12 x 200€ = 88.800€
Endkapital: 280.787€
Zinsertrag: 191.987€
Ertragsanteil: 191.987/280.787 = 0,684 bzw. 68,4%
Differenz Endkapital: 20.160€
Welche durchschnittliche Auszahlungssumme unterstelle ich? Ich plane (sofern nicht anders gewünscht) einen vollständigen Kapitalverzehr zum 90. Lebensjahr bei Beginn der Auszahlung im Alter von 67 Jahren.
Monatliche Auszahlung Depot: 1.951€
Monatliche Auszahlung Versicherung: 1.773€
Daraus ergibt sich nach Steuern wie folgt:
Depot: 1.951 - 1.951 x 0,705 x 0,26375 = 1.588,22€ (Steuer=362,78€)
Rentenversicherung: Etwas längere Berechnung, da wir einen Steuersatz im Alter unterstellen müssen. Die Durchschnittsrente (brutto, Stand 01.07.2022) beträgt 1620,90€ (ja, tatsächlich so wenig. Zur Info: für einen vollen Rentenpunkt benötigt man 2023 voraussichtlich 43.142€ Brutto/Jahr).
Wir unterstellen in unserem Beispiel einen Steuersatz von 13% (z.v.E. von 25.000€).
1.773€ x 0,5 x 0,684 x 0,13 = 78,83€
Daraus ergibt sich wie folgt: 1.773€ - 1.773€ x 0,5 x 0,684 x 0,13 = 1.694,17€
Differenz Rentenversicherung/Depot: 1.694,77€ - 1.588,22€ = 106,55€/Monat, bzw. 1.278,60€/Jahr. Differenz bei Laufzeit 23 Jahre: 29.407,80€.
Bsp. 2: Analog zu oben, jedoch verkürzt: Wie zuvor gesagt, oft auch nur Laufzeit bis 85 Jahre möglich, dann wahlweise Auszahlung Restkapital, oder monatliche Verrentung. Bevorzugen würde ich hier ersteres, oder (aufgrund des vermutlich niedrigeren Kapitalbedarfs im hohen Alter) einen vollständigen Kapitalverzehr zum 85. Lebensjahr.
Bei Kapitalverzehr innerhalb von 18 Jahren ergibt sich folgende monatliche Auszahlung:
Depot: 2.176€
Versicherung: 2.030€
Nach Steuer:
Depot: 2.176€ - 2.176€ x 0,705 x 0,26375 = 1.771,39€
Versicherung: 2.030€ - 2.030€ x 0,5 x 0,684 x 0,13 = 1.939,75€
Differenz Rentenversicherung/Depot: 1.939,75€ - 1.771,39€ = 168,36€/Monat, bzw. 2.020,32€/Jahr. Differenz bei Laufzeit 18 Jahre: 36.365,76€
Bsp3: Stark vereinfachte Darstellung der Steuerlast:
Depot: Zinsertrag i.H.v. 212.147€, Steuerlast: 212.147 x 0,26375 = 55.953,77€
Versicherung: Zinsertrag i.H.v. 191.987€, Steuerlast bei jährl. Auszahlung von 13%: 191.987€ x 0,5 x 0,13 = 12.479,16€
Differenz Steuerlast: 55.953,77€ - 12.479,16€ = 43.474,61€
8. Und das stimmt so?
Bei meinen Beispielen handelt es sich um Modellrechnungen, die näherungsweise zeigen sollen, wie das Potential der Versicherung liegt. Wie das ganze individuell betrachtet aussieht hängt natürlich von weiteren Faktoren ab und muss im Einzelfall entschieden werden. Unter anderem habe ich hier auch die Teilfreistellung außer Acht gelassen. Ebenso den Steuerfreibetrag i.H.v. aktuell 1.000€. Von zukünftigen Steuervorteilen, Erhöhung des Grundfreibetrags und der Inflation will ich gar nicht erst anfangen… das steht nämlich noch in den Sternen. Ich vermute, die meisten hier werden nicht vor 2040 in Rente gehen, daher unterstelle ich hier zu Ungunsten der Versicherung eine Versteuerung der Rente in Höhe von 10%. Mir geht es in diesem Beitrag nur darum, die Funktionsweise mal möglichst verständlich aufzuzeigen. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass das bei den meisten Beratungen wenig bis gar nicht passiert.
9. Fazit
Ich persönlich bin der Meinung, dass eine gut ausgestaltete private Rentenversicherung durchaus sinnvoll ist – ich habe selbst auch eine. Ich empfehle eine Kombination aus der Versicherung und eines normalen Depots als Ergänzung zur gesetzlichen Rente. Macht auch bei vorzeitigen Auszahlungen Sinn, die vorzugsweise aus dem normalen Depot getätigt werden sollten. Abgesehen davon noch Eigenheim/Renditeobjekte für diejenigen, die daran interessiert sind. Was ebenfalls nicht zu unterschätzen ist: der psychologische Faktor, den die Rentenversicherung bietet. Man hat im Hinterkopf „nein, das ist für mein Alter, da geh ich wirklich nicht ran!“ – Bei dem normalen Depot liegt die Schwelle zum Verkauf weit niedriger. Bitte beachten: GRV trifft natürlich nur auf die Angestellten zu. Wie das Ganze bei Selbständigen ist & warum Rürup absolut unterschätzt ist, kann ich bei Interesse in einem weiteren Beitrag erklären. Das hängt unter anderem von der Resonanz auf mein „Erstlingswerk“ ab 😊
Sollten Fragen zu den Berechnungen aufkommen, etwas unklar sein, ihr mich mit eurer Kritik auseinander nehmen möchtet, schreibt es mir einfach in die Kommentare! Falls ich irgendwo einen Fehler in einer Berechnung haben sollte, schreit mich einfach an, dann korrigiere ich es so schnell wie möglich. Bedenkt jedoch: Das sollte hier keine Doktorarbeit werden. Ich habe nicht vor hier mathematische Herleitungen und Beweisführungen zu erstellen. Das ist der Masse aber auch klar hoffe ich 😊
Woher die Zahlen:
Werte zur Standardrente, "Rentenversicherung in Zahlen 2022): https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Experten/Zahlen-und-Fakten/Statistiken-und-Berichte/statistiken-und-berichte_node.html
Berechnungen: Entnahmeplan, Wertentwicklung etc.: App „Rechenknecht“. Übrigens absolute Downloadempfehlung! Nutze ich nahezu täglich.
Zum Thema Steuern gibt @TheAccountant89 hoffentlich noch was zum Besten, warte schon gespannt darauf!
@SHDDY und @Finanzios Haben ebenfalls die Intention zum Thema Versicherungen ein paar Posts zu verfassen. Die dürfen mich hier sofort in der Luft zerreißen wenn ein Fehler auftaucht!