-66% in einem Jahr, -30% innerhalb einer Woche…
So schnell kann ein Unternehmen vom unangefochtenen Champion zum Börsen-Looser werden. Unglaublich. Wird Novo Nordisk $NOVO B (-3,34 %) noch weiter abstürzen oder gibt es Hoffnung?
Hier ein Überblick über die Fakten:
1. Die neue Realität: Vom unangefochtenen Marktführer zum Herausforderer
Der Kern der aktuellen Unsicherheit liegt in der veränderten Wettbewerbslandschaft. Der Markt für Diabetes- und Adipositas-Medikamente, obwohl in einer "Goldrausch"-Phase mit enormem Wachstumspotenzial, hat sich zu einem Duopol entwickelt, in dem Novo Nordisk die Marktführerschaft verloren hat.
Hauptkonkurrent Eli Lilly hat die Führung übernommen:
- Marktanteil: Eli Lilly hat Novo Nordisk als Marktführer im entscheidenden US-amerikanischen GLP-1-Markt überholt und hält Anfang/Mitte 2025 einen Marktanteil von 53%.
- Produktüberlegenheit: Lillys Medikament Zepbound (Tirzepatid) zeigt eine klinisch überlegene Gewichtsreduktion (ca. 22 %) im Vergleich zu Novo Nordisks Wegovy (ca. 15 %). Den Titel "Best-in-Class" zu verlieren, erschwert den Wettbewerb.
- Pipeline-Vorteil: Die Pipeline von Eli Lilly scheint mit Kandidaten wie Retatrutid und der oralen Pille Orforglipron fortschrittlicher zu sein und könnte Produkte früher zur Marktreife bringen.
Diese Entwicklungen haben Novo Nordisk von der Position des dominanten Innovators in die des Herausforderers gedrängt.
2. Die strategische Antwort und die zugrunde liegende Verwundbarkeit
Als Reaktion auf den verschärften Wettbewerb hat Novo Nordisk seine Strategie angepasst:
- Wechsel im Management: Die Ernennung von CEO Doustdar signalisiert eine Abkehr von einer "Friedenszeit" der Innovation hin zu einer "Kriegszeit" des kommerziellen Kampfes. Sein Fokus liegt auf "Dringlichkeit", "hoher Leistung" und der Maximierung des Verkaufs bestehender Produkte.
- Massive Investitionen in:
- Produktionskapazitäten: Der mit Abstand größte Bereich, mit Ausgaben und Akquisitionen von über 129 Mrd. DKK (€ 17,3Mrd) allein im Jahr 2024, um die "beispiellose Nachfrage" zu befriedigen und Lieferengpässe zu beheben.
- Forschung & Entwicklung: Wichtige Hoffnungsträger sind CagriSema, der duale Agonist Amycretin und höher dosiertes Semaglutid, um zur Wirksamkeit der Konkurrenz aufzuschließen.
Diese strategische Neuausrichtung ist zwingend notwendig, denn die Unternehmensstruktur weist große Risiken auf:
- Produktkonzentration: Über 93 % des Umsatzes werden mit Medikamenten gegen Diabetes und Adipositas erzielt. Das Segment "Rare Disease" mit 7% trägt dabei nur minimal zur Diversifizierung bei.
- Geografische Konzentration: Mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes (56,8 %) wird in Nordamerika erzielt. Dies schafft eine hohe Anfälligkeit für Preisdruck, Politik und Wettbewerb im US-Markt.
Diese Konzentration war die Quelle des Erfolgs, ist nun aber ein erhebliches Risiko.
3. Abwägung der Zukunftsaussichten: Chancen/Risiken:
Chancen (Argumente für ein Investment):
- Riesiger, ungedeckter Markt: Weltweit gibt es über eine Milliarde potenzielle Patienten, von denen bisher nur ein kleiner Prozentsatz behandelt wird. Der Markt bietet immenses Wachstumspotenzial, selbst für einen zweitgrößten Akteur.
- Diabetes-Markt: Schätzungen zufolge soll der Markt bis 2033 um +79% bis +192% wachsen. Das sind 8,7% bis 21,3% pro Jahr!
- Adipositas-Markt: Schätzungen zufolge soll der Markt bis 2035 um +300% bis +900% wachsen. Das sind +30% bis +90% pro Jahr!
- Starke Markenbekanntheit: Ozempic und Wegovy sind weltweit bekannte Markennamen und profitieren von einem First-Mover-Vorteil, der einen kommerziellen Schutzwall bildet.
- Erweiterung der Indikationen: Positive Daten aus Studien, die einen Zusatznutzen bei Herz- und Nierenerkrankungen nachweisen (SOUL, FLOW), können die Erstattungsfähigkeit verbessern und Semaglutid von Konkurrenten differenzieren.
- Produktion als Wettbewerbsvorteil: Sollte es Novo Nordisk gelingen, den Markt zuverlässig zu beliefern, während Konkurrenten Lieferengpässe haben, könnte dies zu direkten Marktanteilsgewinnen führen.
- Attraktive Bewertung: Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von ~11 ist die Aktie deutlich günstiger bewertet als die von Eli Lilly (KGV von über 63), was Potenzial für eine Neubewertung bei Erfolg schafft.
Risiken (Argumente gegen ein Investment):
- Preis- und Erstattungsdruck: Die hohen Kosten der Medikamente führen weltweit zu erheblichem Widerstand von Regierungen und Versicherungen. Der politische Druck in den USA ist extrem hoch, was eine Preiserosion wahrscheinlich macht. Donald Trump hat am 31.Juli ein Dekret Unterschrieben: Er hat Briefe an 17 Unternehmen, geschickt und sie aufgefordert, die Preise innerhalb von 60 Tagen zu senken. Ausgang? Unklar.
- Risiko bei der Pipeline-Umsetzung: Die als enttäuschend empfundenen Daten für den Hoffnungsträger CagriSema verdeutlichen das Risiko, dass die F&E-Pipeline nicht mit Lillys nächster Generation von Medikamenten mithalten kann.
- Risiko der Marktwachstumsverlangsamung: In den vorläufigen Quartalszahlen für Q2 2025 gibt Novo Nordisk bekannt, dass sich das Wachstum in den USA für die zweite Jahreshälfte etwas verlangsamen wird.
- Generika & Compounding: Unregulierte "Compounding"-Apotheken, die billige Nachahmungen verkaufen, waren ein erheblicher Gegenwind, der den Umsatz der Markenprodukte und die Markenintegrität untergraben hat. Ein regulatorisches Vorgehen gegen diese Praktiken ab Mai 2025 könnte den Markenprodukten wieder Auftrieb geben.
- Herausforderungen in der Produktion: Der massive und komplexe Ausbau der Produktion birgt erhebliche Umsetzungsrisiken. Verzögerungen könnten zu weiteren Marktanteilsverlusten führen.
- Die tickende Uhr der Patente:
- Semaglutid (Ozempic/Wegovy): Während der Schutz in den USA und Europa bis ca. 2031/2032 reicht, läuft das Kernpatent in China und Kanada bereits 2026 aus. Dies wird als "Testlauf" für den generischen Wettbewerb und Preissenkungen dienen.
- Liraglutid (Victoza/Saxenda): Die Patente für den Vorgängerwirkstoff sind bereits 2023/2024 ausgelaufen, und der Wettbewerb durch Generika hat begonnen, was zu sinkenden Preisen und Marktanteilen führt.
Fazit:
Derzeit hat sich Fundamental (noch) nichts am Unternehmen geändert. Das Wachstum mit +18% YoY in Q2 2025 markieren das zweitbeste Quartal in der Unternehmensgeschichte. Das Unternehmen ist weit vom scheitern entfernt und bietet langfristig eine extrem starke finanzielle Basis. Das Unternehmen verdient so stark wie nie zuvor und hat trotz der massiven Investitionen eine Dividendenrendite von 3,6%.
Aber wie wir alle wissen, wird an der Börse immer die Zukunft gehandelt und diese sieht derzeit nicht gerade rosig aus. Geprägt von großer Unsicherheit und hartem Konkurrenzkampf, sowie einem erwarteten Preiskampf, kann man kurzfristig nicht sagen, wie sich der Markt bzw. das Unternehmen weiterentwickelt. Das Unternehmen muss sich langfristig von einer Differenzierungsstrategie zu einer Economy of Scale wandeln, um Marktanteile zu halten. Auch das wird die Gewinnmarge in Zukunft wahrscheinlich stark schmälern. Deshalb ist es mehr als verständlich, dass die Aktie so stark fällt.
Einen kurzfristigen Lichtblick bietet jedoch die FDA-Entscheidung, die Compounding “Nachahmer”-Produkte nach der Medikamentenknappheit wieder zu verbieten.
Was sollte man jetzt machen?
Bei so einem starken Kursverlust in so einer kurzen Zeit spielen Emotionen eine sehr große Rolle. Aber:
Durch diese Bewertungskorrektur sind meiner Meinung nach viele Risiken eingepreist. Trotzdem verspricht das Unternehmen weiteres Wachstum für das Gesamtjahr und steht auf einer stabilen fundamentalen Basis.
Novo Nordisk hat Stand 04.08.2025 ein KGV von 10 und ein KUV 3,5, wobei der Konkurrent Eli Lilly $LLY (-0,6 %) ungefähr gleich groß ist und mit dem 4,2-Fachen (=13,75) KUV zu Novo Nordisk bewertet. Natürlich ist die Wachstumsrate besser, aber die beiden Unternehmen sitzen im gleichen Boot. Preissenkungen und langsameres Marktwachstum betreffen beide Unternehmen, stand heute, gleich stark.
Langfristig gesehen, gibt es zwei Szenarien:
1.Das Marktwachstum verlangsamt sich oder stagniert. Das Novo Nordisk verliert weiter Marktanteile. Gleichzeitig senkt der Preisdruck die Gewinnmarge stark und der Umsatz fällt. Dieser Fall hätte erhebliche negative Auswirkungen und würde die Aktie nochmals auf Talfahrt schicken.
2.Das Unternehmen entwickelt sich normal weiter, verliert leichte Marktanteile und wächst kontinuierlich mit dem Markt. Novo Nordisk steht weiterhin an zweiter Stelle hinter Eli Lilly, hält jedoch einen Marktanteil von +-30 Prozent. Dann würde sich die Aktie wieder erholen und eine normale Bewertung relativieren.
Kurzfristig ist die Unsicherheit extrem groß. Falls sich der Stopp von Generika & Compounding Medikamenten komplett durchsetzen lässt, ist der Markt wieder ein reines Duopol, was sich positiv auswirken würde. Wenn sich Trumps Forderungen nicht verwirklichen, sollte ein weiterer Brocken abfallen. Unwahrscheinlich sind plötzlich verbesserte Studienergebnisse mit verbesserter Wirksamkeit der Medikamente. Mittelfristig kann das Unternehmen auf der derzeitigen fundamentalen Basis aufbauen und sich weiterentwickeln. Entscheidend wird die Umsetzung des Strategiewechsels sein. Langfristig ist es undenkbar, dass Novo Nordisk nicht mit dem Markt mitwachsen wird.
Kurzfristig überwiegen die Nachteile massiv und es gibt keine Anzeichen auf schnelle positive Signale bzw. einer schnellen Erholung. Langfristig jedoch ist jetzt möglicherweise der perfekte Einstiegszeitpunkt, da der Aktienkurs jetzt gerade am Boden liegt. Ich persönlich sehe die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur bei Eli Lilly auch als wahrscheinlich, weil beide im gleichen Boot sitzen. Was rechtfertigt diesen Bewertungsunterschied?