Deutsche Anleger, die auf den Kapitalmarkt setzen, haben im vergangenen Jahr ordentliche Renditen erzielt. Das ergibt eine Auswertung von Depots von 330.000 Nutzern der Plattform Getquin, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. Demnach lag der durchschnittliche Ertrag je nach Größe des Depots zwischen 24 und 30 Prozent.
Dabei verfolgen viele dieser Anleger unnötig riskante Strategien. Denn sie legen relativ viel ihres Geldes in einzelne Aktien an. Einen geringeren Anteil machen dagegen die oft breite Indizes nachbildenden, börsengehandelten ETFs aus.
Auffällig ist, wie viel Geld die Getquin-Nutzer in einzelne Aktien von Unternehmen investiert haben. Im Durchschnitt liegt der Anteil von Einzelaktien bei 55 Prozent des Anlagekapitals. Der ETF-Anteil beträgt im Mittel dagegen nur 37 Prozent.
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Interessant ist beim Blick auf die einzelnen Depotgruppen, dass in kleinen Depots die meisten Einzelaktien stecken. Doch auch in der Depotgruppe über 100.000 Euro haben Anleger mehr als die Hälfte ihres Geldes in Einzeltitel investiert.
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Die deutschen Nutzer von Getquin investieren besonders gern in Tech-Unternehmen, viele davon aus den USA. Daher ist es nicht verwunderlich, dass US-Unternehmen häufig unter den 20 beliebtesten Einzelwerten auftauchen.
Viele Anleger bevorzugen Aktien aus ihrem Heimatland. Das Phänomen wird „Home Bias“ genannt. Eine solche offenbar selektive Wahrnehmung zugunsten des heimischen Finanzmarkts erklärt hier, dass unter den 20 beliebtesten Einzelaktien der Anleger mit Allianz $ALV (-0,14 %) , SAP $SAP, BASF $BAS (+1,69 %) , Munich Re $MUV2 (-0,6 %) und Deutsche Telekom $DTE (+0,67 %) gleich fünf deutsche Unternehmen stehen. Siemens $SIE (-0,45 %) und Mercedes Benz $MBG (-1,31 %) befinden sich auf den folgenden fünf Plätzen.
Dass die Getquin-Anleger sowohl den heimischen Markt als auch den Tech-Sektor übergewichten, überrascht Andreas Hackethal nicht. Eigene Depotstudien des Finanzprofessors von der Goethe-Universität Frankfurt brachten ähnliche Ergebnisse: Die Anleger kauften viele Einzelaktien und überdurchschnittlich oft aus dem heimischen Markt. So versuchten sie, den Markt zu schlagen. Hackethal bemängelt die „schlechte Diversifikation“ der Getquin-Nutzer, und sagt: „So viele Einzelaktien zu haben, ist eine unnötig riskante Strategie.“
In Bezug auf den Tech-Sektor ist dieser Ansatz besonders problematisch: Denn in vielen ETFs sind die großen Technologie-Unternehmen ohnehin bereits enthalten - auch in den Fonds, die bei den Getquin-Anlegern am beliebtesten sind: Nachbildungen der Weltaktienindizes MSCI World und FTSE All World sowie des US-amerikanischen S&P 500. In den Top 10 befindet sich außerdem ein ETF, der auf Technologieunternehmen setzt. Insofern haben sich die Anleger über Einzelaktien und ETFs ein doppeltes Tech-Übergewicht eingekauft.
Wie haben sich die Depots der Getquin-Nutzer entwickelt? Im vergangenen Jahr sehen die Strategien erfolgreich aus: Alle Depotgruppen hätten 2024 Gewinne erzielt, sagt Steil. Die größten Depots erzielten dabei die höchste Durchschnittsrendite.
Längerfristig allerdings sieht die Bilanz nicht so rosig aus. 2022 beispielsweise haben „die meisten kleineren Depots Verluste gemacht“, stellt Steil fest. Größere Depots hingegen weisen der Auswertung zufolge über die Jahre „konstant gute Zahlen“ vor.
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Der Grund ist anschaulich: In den größten Depots sind die Anteile einzelner Aktien von den ebenfalls sehr stark im Wert schwankenden Kryptowährungen relativ gering. Entsprechend hoch ist mit knapp 40 Prozent die ETF-Quote. Anleger mit größeren Depots investieren ihr Kapital demnach diversifizierter. Olaf Stotz, Professor für Asset-Management an der Privatuniversität Frankfurt School of Finance & Management, erklärt das so: Mit größeren Vermögen würden Anleger rationaler.
Experten halten grundsätzlich wenig von einer Strategie, die versucht, mit einzelnen Aktien mehr Rendite zu erzielen, als auf den breiten Markt zu setzen. „Einzelaktien zu kaufen, ist eine denkbar schlechte Wette“, warnt Niels Nauhauser, Kapitalmarktexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Wissenschaftler Hackethal bestätigt: Durchschnittlich ließen „Anleger drei Prozent Rendite pro Jahr liegen, wenn sie versuchen, mit bestimmten Strategien den Markt zu schlagen. Der Forscher hat berechnet: Auf Einzelaktien zu setzen, sei „doppelt oder dreifach so riskant“ wie eine Anlage in den MSCI World.
So war die Rendite auch der größten Getquin-Depots selbst im guten letzten Jahr nur 0,5 Prozentpunkte höher als der breite US-Index S&P 500.
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Mit einem entsprechenden Index-ETF hätten Anleger nahezu die gleiche Rendite erzielt, aber das Risiko von Depotverlusten deutlich breiter verteilt – über alle 500 Aktien des Indexes.
Für Hackethal gibt es daher keine rationalen Gründe für eine Einzelaktienstrategie. Warum legen viele Menschen dennoch so an? Hackethal meint: „Sie wollen einen Kick spüren. Sie überschätzen sich selbst. Und sie wollen möglichst schnell Geld machen.“ All das treffe besonders auf jüngere und männliche Anleger zu.
Ein Blick in die Börsenhistorie lehrt aber das Gegenteil: Für einen langfristigen Vermögensaufbau sei es wichtig, geduldig und realistisch zu sein, betont Hackethal. Niemand sollte längerfristig eine Rendite von 20 Prozent oder mehr erwarten.
Mit einem ETF auf den Weltaktienindex MSCI World hätte ein Investor in den vergangenen 20 Jahren mit einer monatlichen Anlage von 250 Euro 100.000 Euro zusammenbekommen. Die durchschnittliche Jahresrendite betrug immerhin 6,8 Prozent. Mit einer Sparrate von 200 Euro pro Monat wäre diese Marke im Durchschnitt nach 21 Jahren geknackt worden.
Das ist zwar keine schnelle Vermögensvermehrung, wie sie windige Finfluencer mit Verweis auf die Hype-Aktien wie zuletzt Nvidia oder Kryptowährungen versprechen. Dafür geht ein Anleger mit einer solchen ETF-Strategie bedeutend weniger Risiko ein.
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Quelle / Grafiken: Handelsblatt, 17.02.25