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Der Commodity-Rotation-Ansatz, an dem ich aktuell arbeite, befindet sich noch in der Überarbeitung – nach wertvollen Rückmeldungen aus der Community hier auf @getquin , insbesondere von @Thunderbolt1978 , @Simon_n und @Epi . Einige Regeln werden sich vermutlich noch verändern, bevor er endgültig steht (oder auch nicht :)). Dennoch möchte ich ein zentrales Element dieses Ansatzes schon jetzt vorstellen: den Einsatz von täglich gehebelten ETFs. Diese sogenannten Daily Leveraged ETFs bilden die Tagesbewegungen eines Index mit einem festen Faktor ab – meist doppelt oder dreifach. Sie sind das Werkzeug, mit dem sich Momentum gezielt verstärken lässt, allerdings nur, solange die Richtung klar ist. Richtig eingesetzt, können sie das Ergebnis einer strukturierten Strategie deutlich steigern. Falsch verstanden, zerstören sie still und schrittweise Kapital.
Das Entscheidende ist das Wort „täglich“. Diese Produkte sollen nicht über Wochen oder Monate wirken, sondern die prozentuale Veränderung eines Index nur für einen einzelnen Handelstag multiplizieren. Nach jedem Börsenschluss wird die Position automatisch auf den neuen Indexstand zurückgesetzt, die Derivate im Fonds werden neu ausbalanciert. Dieses tägliche Reset-Prinzip sorgt dafür, dass sich Gewinne und Verluste über mehrere Tage nicht linear fortsetzen. Wer einen 3x-ETF also länger hält, erhält am Ende nicht das Dreifache der Indexrendite – sondern das Ergebnis einer Kette täglicher Rebalancings, die sich mit jeder Marktbewegung neu justieren.
Das wird zum Problem, wenn Märkte schwanken. Steigt ein Index an einem Tag um zehn Prozent und fällt am nächsten Tag um zehn Prozent, steht er bei 99 % seines Ausgangswerts. Der 3x-Daily-ETF dagegen liegt schon bei rund 91 %. Diese Abweichung ist kein Fehler, sondern eingebaut. Je höher die Volatilität, desto stärker frisst der Effekt – Volatility Decay genannt – die Rendite auf. In Seitwärtsphasen arbeitet also nicht der Markt gegen den Anleger, sondern die Mathematik.
Beispiele zeigen das sehr klar. Der $QQQ3 (-2,84 %) (Direxion Daily Nasdaq-100 Bull 3x Shares) vervielfacht die tägliche Bewegung des Nasdaq 100, kann aber in schwankenden Phasen stark von der Indexentwicklung abweichen. Ähnlich verhält es sich mit dem $GUSH (Direxion Daily S&P Oil & Gas Exp. & Prod. Bull 2x Shares), der die täglichen Bewegungen im Energiesektor abbildet. Im Rohstoffbereich gilt der $JNUG (Direxion Daily Junior Gold Miners Bull 3x Shares) als Paradebeispiel für extreme Pfadabhängigkeit: Innerhalb weniger Wochen können sich die Tagesbewegungen aufschaukeln – nach oben wie nach unten.
Wichtig ist: Diese Produkte beziehen sich immer auf den einzelnen Tag. Ein 3x-ETF multipliziert nicht die Monats- oder Jahresrendite eines Index, sondern ausschließlich die tägliche Veränderung. Wird er über längere Zeiträume gehalten, kann die Abweichung zur realen Indexentwicklung dramatisch sein. Deshalb sind Daily-Leveraged-ETFs keine klassischen Buy-and-Hold-Produkte, sondern taktische Instrumente.
Hinzu kommt die unsichtbare Verlustgrenze. Fällt der Basiswert an einem Tag um etwa 33 %, ist ein 3x-Daily-ETF praktisch wertlos, weil der zugrunde liegende Swap-Kontrakt auf null fällt. Diese Schwelle wurde in extremen Marktphasen – etwa bei Rohstoff- oder Technologieindizes – mehrfach fast erreicht. Wer den täglichen Reset nicht versteht, sieht nur das Potenzial nach oben, aber nicht, wie schmal die Linie zwischen Verstärkung und Vernichtung wirklich ist.
Auch laufende Kosten wirken gegen die Halter. Derivate müssen täglich neu eingekauft, Zinsen und Gebühren auf Finanzierungskosten verbucht werden. Über Wochen oder Monate summieren sich diese Belastungen zu einem konstanten Performanceverlust. Selbst in stabilen Aufwärtstrends liegt ein 2x-Daily-ETF häufig deutlich unter seiner theoretischen Verdopplung.
Das heißt nicht, dass Daily-Leveraged-ETFs per se gefährlich sind. Sie haben ihre Berechtigung – nur eben als präzise Werkzeuge, nicht als Daueranlage. Wer sie nutzt, braucht einen klaren Plan, ein definiertes Zeitfenster und konsequente Stop-Loss-Disziplin. In Trendphasen oder als kurzfristiges Vehikel im Rahmen einer Momentumstrategie können sie starke Ergebnisse liefern. Sobald der Trend jedoch ins Stocken gerät, kippt die Mechanik ins Negative.
Interessant ist die Parallele zur Commodity-Rotation: Dort wird der Markt regelmäßig geprüft, Regeln begrenzen das Risiko, Signale bestimmen den Einstieg (ungeachtet möglicher Anpassungen es Ansatzes). Überträgt man dieses Prinzip, lassen sich auch Daily-Leveraged-ETFs gezielt steuern – nicht nach Gefühl, sondern nach Struktur. Wer hingegen passiv hält, setzt auf einen Motor, der jeden Tag neu startet, aber langfristig an Energie verliert.
Am Ende bleibt ein nüchternes Fazit: Daily-Leveraged-ETFs sind Verstärker. Sie reagieren überproportional auf Bewegung – nach oben wie nach unten. Ihr Nutzen hängt nicht vom Produkt, sondern vom Verhalten des Anlegers ab. Wer Momentum versteht und diszipliniert handelt, kann sie taktisch einsetzen. Wer sie wie einen normalen ETF im Depot liegen lässt, wird erleben, wie die Mathematik langsam gegen ihn arbeitet.
Fragen an euch:
Wie würdet ihr Hebel-ETFs einordnen – als legitimes Werkzeug für Momentum-Strategien oder als tickende Zeitbombe im Depot?