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Wachstumsunternehmen sind das Herzstück moderner Kapitalmärkte – aber sie sind schwer zu bewerten. Klassische Kennzahlen wie KGV oder Kurs-Buchwert stoßen an ihre Grenzen, wenn Firmen Verluste schreiben, um Märkte zu erobern. Genau hier setzt die Rule of 40 an: eine einfache, aber erstaunlich aussagekräftige Kennzahl, die Wachstum und Profitabilität in ein Verhältnis setzt – und damit zeigt, ob ein Geschäftsmodell ökonomisch tragfähig ist.
Die Regel selbst ist schlicht:
Umsatzwachstum (%) + operative Marge (%) ≥ 40.
Erreicht oder übertrifft ein Unternehmen diese Schwelle, gilt es als effizient und balanciert – es wächst stark, ohne dabei übermäßig Kapital zu verbrennen. Liegt der Wert deutlich darunter, droht ein Ungleichgewicht zwischen Expansion und Wirtschaftlichkeit.
Die Kennzahl stammt ursprünglich aus der US-Softwarebranche, vor allem von SaaS-Unternehmen, die häufig noch keine Gewinne ausweisen, aber stark wachsen. Investoren suchten dort nach einer Möglichkeit, um Wachstum und Effizienz in einem Maßstab zu verbinden. Die Rule of 40 liefert genau das – einen einfachen Effizienzindikator.
Ein Beispiel verdeutlicht das Prinzip:
- Firma A wächst um 50 %, hat aber eine operative Marge von –20 % → Score 30.
- Firma B wächst um 25 %, erzielt +20 % Marge → Score 45.
Obwohl Firma A stärker wächst, ist Firma B klar effizienter – und meist langfristig stabiler. Entscheidend ist das Verhältnis, nicht die Höhe des Wachstums allein.
In der Praxis gilt:
- > 50 %: außergewöhnlich stark, Wachstum und Profitabilität im Gleichgewicht.
- 40–50 %: solide, nachhaltig und kontrolliert.
- 30–40 %: akzeptabel, aber oft zyklisch oder margenschwach.
- 20–30 %: fragil, Effizienzprobleme erkennbar.
- < 20 %: kritisch, Modell meist unausbalanciert.
Bei typischen SaaS-Unternehmen gilt ein Wert über 40 % als Zeichen eines reifen, effizienten Geschäftsmodells.
Beispiele aus der Praxis:
- $SNOW (-0,97 %) (Snowflake): Umsatzwachstum ~34 %, operative Marge ~12 % → Score 46.
- $CRM (-0,71 %) (Salesforce): Wachstum ~11 %, Marge ~30 % → Score 41.
- $PLTR (-7,97 %) (Palantir): Wachstum ~45 %, operative Marge ~12 % → Score 57.
- $APPN (-1,03 %) (Appian): Wachstum ~15 %, Marge –20 % → Score –5.
- $V (-0,3 %) (Visa): Wachstum ~10 %, operative Marge ~67 % → Score 77 – außergewöhnlich effizient, kaum zyklisch.
Die Kennzahl funktioniert jedoch nicht überall. Sie ist auf skalierbare, digitale Modelle zugeschnitten, bei denen hohe Fixkosten durch steigende Umsätze schnell gedeckt werden. In kapitalintensiven oder zyklischen Branchen verliert sie an Aussagekraft.
Beispiele, wo sie nur eingeschränkt funktioniert:
- Industrie & Hardware: Schwankende Margen durch Konjunkturzyklen, z. B. bei $VRT (-3,19 %) (Vertiv) oder $ASML (-0,99 %)
Versorger & Energie: Fokus liegt auf Stabilität, nicht auf Wachstum – ein Wert über 40 % wäre hier eher verdächtig.- Biotech & Frühphasen-Tech: Geringe Umsätze und hohe Entwicklungsaufwände machen die Kennzahl kaum nutzbar.
- Konsum- & Plattformmodelle: Starke Marketingausgaben können den Score kurzfristig verzerren, weshalb ein geglätteter Mehrjahreswert aussagekräftiger ist.
Die Rule of 40 misst also keine Bewertung, sondern Effizienz. Sie hilft, Wachstumsunternehmen zu vergleichen und einzuschätzen, ob Expansion vernünftig oder teuer erkauft ist.
Manche Analysten nutzen inzwischen erweiterte Varianten:
- Free-Cashflow-Marge statt operativer Marge → stärkerer Fokus auf Liquidität.
- Rule of 50 als Premiumfilter für besonders effiziente Wachstumsunternehmen.
- Trendbetrachtung über mehrere Jahre → steigende Scores zeigen operative Reife.
In meinem Hidden Quality Radar (HQR)-Modell fließt die Kennzahl in die Dimension Wachstum & Rentabilität ein:
- Werte über 40 erhalten hohe Punktzahlen.
- Werte zwischen 30 und 40 gelten als neutral.
- Werte unter 30 werden kritisch hinterfragt.
Auch im 10B-Modell (Tenbagger-Ansatz) dient die Kennzahl als Stabilitätsfilter. Ein Unternehmen mit hohem Umsatzwachstum, aber Rule-of-40-Score unter 20, ist selten ein nachhaltiger Tenbagger – meist nur eine spekulative Wette.
Unterm Strich ist die Rule of 40 kein Dogma, aber ein hilfreicher Kompass. Sie zwingt zu Disziplin – sowohl beim Management, das profitables Wachstum anstrebt, als auch bei Anlegern, die Substanz von Hoffnung trennen wollen. Gerade in Zeiten steigender Zinsen und Kapitaldisziplin wird sie wieder wichtiger.
Fragen an die Community:
Welche eurer Portfoliowerte erfüllen aktuell die Rule of 40 – und wie stabil bleiben sie über mehrere Quartale hinweg?
Findet ihr die Kennzahl auch außerhalb des SaaS-Sektors sinnvoll – etwa bei Industrie- oder Infrastrukturwerten?
Nutzt ihr die Rule of 40 aktiv in eurer Analyse, oder ist sie für euch eher ein theoretischer Richtwert?
