Und der dazu passenden Strategie
Immer wieder lese ich auf getquin Aussagen wie "Mein Ziel ist es, dieses Jahr 50 Bücher über Finanzen zu lesen und dann endlich mit dem Investieren zu starten", "Meine Strategie ist es, jeden Monat 300 Euro zu investieren" oder "Ich habe mir als Ziel gesetzt, den Wert meines Depots bis Ende des Jahres auf 20.000 Euro zu erhöhen - buy & hold!". Versteht mich nicht falsch, ich finde es mega, dass ihr alle hier seid, euch mit euren Finanzen auseinandersetzt und eure Ideen und Ansichten mit der Community teilt. Und es ist auch wesentlich besser, jeden Monat 300 Euro zu investieren - einfach, weil man es kann - als gar nichts zu investieren. Aber da ist noch so viel mehr ... Und darauf gehe ich heute ein!
Schritt 1: Mach dir klar, was du willst
@InvestmentPapa klingt mir bei dem Thema immer im Ohr, der mal "Hobbys - Fußball, Ski fahren und lesen. Investieren? Notwendiges Übel ohne Chance auf Alternative." schrieb. Und damit hat er verdammt recht. Investment ist kein Hobby. Geld und Vermögenszuwachs bringt mir rein gar nichts, wenn ich es nicht nutze. Werde dir darüber klar, warum du Geld anlegen möchtest! 300 Euro jeden Monat in einen ETF zu stecken ist kein Ziel. Das ist eine Maßnahme, die dabei helfen könnte, dein Ziel zu erreichen. Am Ende des Jahres X Euro im Depot zu haben aber gleichzeitig eine Buy & Hold-Strategie inkl. Sparplan zu verfolgen, ist auch kein sinnvolles Ziel. Die Börse schwankt und wenn du kein aktives Trading betreibst, hast du keinen Einfluss auf die kurzfristige Größe deines Depots.
Natürlich unterscheidet sich das angestrebte Ziel von Investor zu Investor. Aber Geld einfach des Geldes wegen ergibt keinen Sinn. Mancher möchte bspw. seine Rentenlücke schließen, sich ein Haus kaufen, nur noch Teilzeit arbeiten, seinen Kindern möglichst viel vererben, vor anderen mit seinem Vermögen angeben, ein Geldbad nehmen oder einfach nur mal eine wirkliche große Zahl auf dem eigenen Konto sehen.
Das ist dein Ziel. Oder zumindest der erste Schritt dahin.
Schritt 2: Formuliere dein Ziel aus
Du weißt jetzt, wohin du willst? Sehr gut. Dann mach es konkreter. Schmücke deinen Wunsch mit Details aus. Wie groß und luxuriös soll das Haus sein und wann willst du es kaufen? Wie viel möchtest du vererben, damit deine Kinder ein sorgenfreies Leben führen können (die zum Zeitpunkt des Erbes vermutlich selbst schon kurz vorm Renteneintritt stehen)? Wie groß ist deine Rentenlücke und wann willst du in Rente gehen? ...?
Ein konkretes Ziel könnte bspw. sein "Ich möchte mit spätestens 50 Jahren meine Arbeitszeit reduzieren und die Differenz zu meinem Vollzeit-Nettogehalt durch Dividende ausgleichen!"
Schritt 3: Dein Ziel in Zahlen fassen
Das ist der Teil, bei dem du alle die Dinge benötigst, die du in der Schule über Mathe gelernt hast, und von denen du dachtest, dass du sie sowieso nie wieder brauchen wirst. Sorry.
Um beim Beispiel aus Schritt 2 zu bleiben: Nur weil du jetzt weißt, dass du mit 50 deine Arbeitszeit reduzieren und die Differenz zu deinem Vollzeit-Nettogehalt durch Dividende ausgleichen möchtest, weißt du noch nicht, wie viel Dividende du konkret benötigst. Du musst also die zu stopfende Lücke berechnen. Oder bei anderen Zielen bspw. das benötigte Kapital zum Zeitpunkt X. Oder wie viele Münzen in deine Badewanne für ein Geldbad passen.
Gerade bei langfristigen Zielen ist es wichtig, veränderte Parameter - wie bspw. ein höheres Gehalt oder die Inflation - zu berücksichtigen. Angenommen dir genügen aktuell 2.000 Euro Netto zum Leben und du möchtest die Hälfte davon in 25 Jahren über Dividende beziehen. Dann musst du berücksichtigen, dass deine Lebenshaltungskosten in 25 Jahren aufgrund der Inflation deutlich höher als heute liegen. Wenn du mit einer Inflation von durchschnittlich 2,5% / Jahr rechnest, benötigst du in 25 Jahren zum Leben keine 2.000 Euro Netto mehr, sondern 2.000 Euro * 1,025^25 = 3.707,89 Euro. Um dein Ziel zu erreichen, musst du also eine Netto-Dividende von ca. 1.853,94 Euro und nicht nur von 1.000 Euro erwirtschaften. Außerdem könnte es sein, dass sich dein Lebensstil in den nächsten Jahren verändert - bspw. Kinder, mehr Luxus durch ein höheres Gehalt, Umzug in eine teurere Stadt, ... und damit auch dein Bedarf in 25 Jahren höher liegen kann. Hier gilt es Annahmen zu treffen und entsprechend zu berücksichtigen. Insgesamt empfehle ich, lieber etwas höher zu kalkulieren als zu knapp.
Ergänze dein Ziel also um konkrete Zahlen. Mache es greifbarer. Mache es berechenbar. "Ich möchte mit spätestens 50 Jahren meine Arbeitszeit reduzieren und die Differenz zu meinem Vollzeit-Nettogehalt durch Dividende ausgleichen. Hierfür benötige ich, unter Berücksichtigung von etwaigen Gehaltserhöhungen und einer reduzierten Steuerlast durch das niedrigere Einkommen, eine Netto-Dividende von 2.500 Euro / Monat in 20 Jahren".
Schritt 4: Deine Möglichkeiten aufschreiben und die benötigte Rendite errechnen
Du dachtest, das war es jetzt mit Mathe? Sorry, jetzt geht es erst richtig los.
Du kennst jetzt zwar dein Ziel und die dahinter liegenden Zahlen, aber noch nicht deinen Weg dahin. Entsprechend musst du dir jetzt über deine finanziellen Möglichkeiten klar werden. Steht dir eine größere Summe zur Verfügung, die du sofort investieren kannst? Möchtest du monatlich sparen und wie hoch könnte die Sparrate sein? Könnte sich diese Sparrate bis zur Erreichung deines Ziels vergrößern oder verkleinern? ...?
Wenn du dir darüber im Klaren bist, gilt es die benötigte Rendite zu berechnen. Brauchst du bspw. in 20 Jahren 300.000 Euro und kannst aktuell einmalig 50.000 Euro investieren, lautet die Rechnung 50.000 Euro * x^20 = 300.000 Euro. Wolframalpha [1] berechnet dir x zu ungefähr 1,0937. Du benötigst zur Erreichung deines Ziels also eine Rendite von 9,37% pro Jahr.
Ein anderes Beispiel: Du willst monatlich investieren und nach 25 Jahren ohne Kapitalverzehr eine Ausschüttung von 2.000 Euro pro Monat erhalten. Zuerst gilt es hier, das benötige Kapital zu berechnen. Für 2.000 Euro pro Monat oder 24.000 Euro pro Jahr und bei angenommenen 25% Steuern auf die Erträge, kannst du das Ziel bspw. mit einer Ausschüttungsquote von 2% und einem Kapital von 1,6 Millionen Euro erreichen: x*0,02*0,75=24.000. Du rechnest mit 3,5% Ausschüttungen? Super, dann genügen schon 914.286 Euro.
Welche Rendite wird nun benötigt, um dieses Kapital zu erwirtschaften? Hierzu kannst du Excel oder Tools wie [2] nutzen. Bei einer monatlichen Sparrate von 500 Euro, einem Zielbetrag von 1,6 Millionen Euro und 25 Jahren Zeit, benötigst du eine Rendite von jährlich 15,906% [3]. Wenn du eine gewisse Rendite für realistisch hältst, kannst du die Rechnung natürlich auch umdrehen und die zu Rendite und Zielkapital notwendige monatliche Sparrate berechnen.
Ergänze nun dein Ziel um die Rahmenbedingungen, die gegeben (deine finanziellen Möglichkeiten) bzw. notwendig (die benötigte Rendite) sind, um es zu erreichen.
Schritt 5: Eine passende Strategie auswählen
Jetzt, wo du dein Ziel, deine finanziellen Möglichkeiten und die benötigte Rendite kennst, gilt es eine passende Strategie auszuwählen. Deine Strategie beschreibt, wie du dein Ziel unter den gegebenen finanziellen Mitteln erreichen möchtest. Von "Ich bespare einfach regelmäßig einen Welt-Index" über Trading bis hin zu "Hin und Her macht Taschen leer" gibt es jede Menge Möglichkeiten. Neben dem klassischen Buy & Hold-Ansatz eines weltweit diversifizierten Portfolios, werden auf getquin auch immer wieder unterschiedliche Strategien vorgestellt. Einige Beispiele findest du in den Quellen unter [4], [5], [6] und [7] (das Nennen dieser Strategien entspricht keiner Empfehlung von mir, meine Strategie findet ihr unter [8]). Wichtig ist, dass du dir zu jeder Strategie über die zu erwartende Rendite (historische Daten, reichen diese weit genug in die Vergangenheit, um verlässlich zu sein? …?) und das Risiko (wie wahrscheinlich ist es, dass die Rendite erreicht wird, wie viel verliere ich im Worst Case maximal, wie wahrscheinlich ist ein Scheitern der Strategie? …?) bewusst wirst.
Du solltest dich für die Strategie entscheiden, die bei geringstem Risiko sehr wahrscheinlich deine angestrebte Rendite erreicht. Das Risiko sollte zudem <= deiner persönlichen Risikotoleranz liegen. Wenn du Schnappatmung bekommst, weil dein Depot 0,5% im Minus ist, solltest du eher die Finger von Krypto lassen. Außerdem sollte die Strategie deinen Fähigkeiten (bereits vorhanden oder in vertretbarer Zeit erlernbar) und Möglichkeiten entsprechen. Es bringt nichts, wenn du dich für Trading auf Basis von technischen Analysen entscheidest, aber keine Ahnung davon hast und außerdem als Einsiedler in einer Wüste in Afrika ohne Strom und Internet lebst.
Manchmal kann es sinnvoll sein, einige Jahre Strategie A (Vermögensaufbau) anzuwenden, und dann auf Strategie B (Vermögensverwaltung / -verzehr) zu wechseln. Hierbei solltest du ggf. anfallende Steuern auf deinen Gewinn bei einer Umschichtung berücksichtigen und das Ziel für den Vermögensaufbau ggf. höher ansetzen, um diese auszugleichen.
Schritt 6: Nichts ist in Stein gemeißelt
Unsere Welt ist sehr schnelllebig. Dinge ändern sich von heute auf morgen. Persönlich, lokal und global. Du solltest deshalb dein Ziel und deine Strategie regelmäßig prüfen und ggf. nachjustieren, aber bitte nicht jedes Jahr über den Haufen werfen und von vorne beginnen.
Gratulation, du hast dir jetzt ein sinnvolles finanzielles Ziel gesetzt und eine dazu passende Strategie ausgewählt.
Was? Du bist Geringverdiener mit ambitionierten Zielen und hast keine Strategie gefunden, die dir dein Ziel mit deinen gegebenen, finanziellen Möglichkeiten in greifbare Nähe bringt? Dann bitte noch die nächsten Schritte lesen.
Schritt 7: Du kannst in deiner aktuellen Situation deine Ziele nicht erreichen? Dann verbessere deine Situation
Wichtig: Sei dabei fokussiert und rational. Es ergibt keinen Sinn, pauschal 50 Bücher über Finanzen zu lesen. Investitionen in dein Humankapital sind richtig und wichtig. Aber bitte gezielt. Sinnvoller wäre es hier zu schauen, was dich tatsächlich weiterbringt. Kannst du dein Einkommen signifikant durch eine Weiterbildung steigern? Falls ja, dann bilde dich weiter und bewirb dich auf einen besser bezahlten Job. Eine aktive Strategie verspricht eine höhere Rendite, mit der du dein Ziel erreichen kannst? Dann eigene dir die dazu notwendigen Fähigkeiten an.
Weiterbildung und neue Fähigkeiten können ein wahnsinnig großer Hebel sein, um deine finanziellen Ziele zu erreichen. Unterschätze sie nicht, nutze sie aber auch sinnvoll und investiere keine Zeit und kein Geld in Themen, die dir nicht helfen, deine Ziele zu erreichen. Manchmal ist es sinnvoll, ein paar Schritte zurückzugehen, um Anlauf zu nehmen.
Schritt 8: Du kannst deine Situation nicht verbessern? Dann musst du dein Ziel anpassen
Gerade das erste finanzielle Ziel ist oftmals einfach zu ambitioniert bzw. die eigenen Möglichkeiten zu beschränkt. In diesem Fall führt leider kein Weg daran vorbei, das Ziel anzupassen. Aber das ist okay. Die Definition eines sinnvollen Ziels ist in der Regel ein iterativer Prozess. Durch die Vorarbeit solltest du jetzt aber ein Gefühl dafür haben, was realistisch ist und was nicht. Passe dein Ziel und deine Strategie mit deinem neu erlangten Wissen und unter deinen gegebenen Voraussetzungen an.
Fazit
Sich nicht um die finanzielle Zukunft zu kümmern ist einfach. Ein paar Euro im Monat zu sparen / zu investieren benötigt schon mehr Arbeit und Energie. Entsprechend finde ich es toll, dass du hier bist und das sehr wahrscheinlich bereits machst. Um sich wirklich sinnvolle finanzielle Ziele zu setzen, braucht es aber noch weit mehr. Man muss sich damit auseinandersetzen, man muss rechnen, man muss sich mit verschiedenen Strategien beschäftigen, man muss regelmäßig prüfen und korrigieren und vielleicht muss man auch mal die eigene Komfortzone verlassen und das Humankapital steigern. Aber es lohnt sich. Nicht nur, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, "später" auch tatsächlich das erreicht zu haben, was man möchte / einem wichtig ist. Ein Ziel und eine Strategie helfen dir auch dabei, ruhiger zu schlafen, dich von unrealistischen Vorstellungen zu verabschieden und dein Leben schon heute und nicht erst in 30 Jahren genießen zu können. Warum? Wenn du weißt, wo du hin möchtest, welche Rendite du dafür benötigst und welche finanziellen Mittel dir zur Verfügung stehen, musst du nicht jeden Cent, den du am Monatsende übrig hast, investieren. Nein, du kannst ihn auch ruhigen Gewissens ausgeben - du weißt ja, dass du auch ohne diesen Cent dein Ziel mit deiner Strategie erreichen wirst.
Was ist dein Ziel? Hast du schon die dazu passende Strategie gefunden?
Bitte, gern geschehen.
Euer StrategyDonkey
Quellen
[1] https://www.wolframalpha.com/input?i=50000*x%5E20%3D300000
[2] https://www.zinsen-berechnen.de/
[3] https://www.zinsen-berechnen.de/sparrechner.php?paramid=eifzwfp7mj
[4] Welt-Index + Titanen von @Chefkoch256
https://app.getquin.com/activity/SzlYKFECjG
[5] Übersicht verschiedener Strategien von @GetRichorTryin
https://app.getquin.com/activity/oNRQtDbTcO
[6] Global Tactical Asset Allocation von @Epi
https://app.getquin.com/activity/OpanTqOJoV
[7] 3x Leveraged Rotating Strategy von @meta (aktuell aber unter die Bitcoin-Maxis gegangen) https://app.getquin.com/activity/YWrjxizhqG
[8] https://app.getquin.com/activity/NhIGEJGCTA
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