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Die Bedeutung der Gross Margin in Zeiten hoher Inflation


Lesedauer: ca. 5min



Es gibt viele verschiedene finanzielle Kennzahlen, die sich aus der Bilanz eines Unternehmens berechnen lassen. Eine Kennzahl, die für mich unentbehrlich geworden ist, ist das Return on Capital Employed (ROCE). Diese kann durch verschiedene Einträge aus der Bilanz berechnet werden und ist eine Maßzahl wie effizient ein Unternehmen investiertes Kapital nutzen kann um Gewinne zu erzielen.


In diesem Beitrag soll es aber vielmehr um eine deutlich einfachere Kennzahl gehen: die Gross Margin. Im deutschsprachigen Raum ist die Gross Margin besser als die Bruttomarge bekannt. Sie gibt den Anteil des Umsatzes an, der nach Abzug der direkten Produktionskosten bzw. Herstellungskosten - der sogenannten cost of revenues - übrig bleibt.


Beispiel: das Unternehmen Pomme erzielt 1.000$ Umsatz und muss dafür 600$ Produktionskosten tragen. Die Gross Margin ist dann


(1.000$ - 600$) / 1.000$ = 400$ / 1.000$ = 40%.


Die 400$ sind in diesem Beispiel der Gross Profit bzw. der Bruttogewinn. Die Gross Margin ist eine sehr einfache Kennzahl und lässt sich auch wunderbar interpretieren: das Unternehmen Pomme stellt seine Produkte (anteilig) für 6$ her und verkauft diese für 10$ an die Kunden. Je höher die Spanne zwischen Herstellungskosten und Verkaufserlös desto lukrativer ist das Geschäftsmodell.


Allerdings ist die Gross Margin noch nicht die Gewinnmarge eines Unternehmens. In den cost of revenues sind zum Beispiel Herstellungskosten, Rohstoffkosten, Energiekosten und Arbeitskosten enthalten. Allerdings keine Kosten, die für den Verkauf oder Vertrieb des Produktes entstehen. Die Kosten werden unter dem Punkt selling, general and administraive expenses (SG&A) in der Bilanz verbucht. Auch Forschungs- und Entwicklungsausgaben - also research and development expenses (R&D) - sind in der Brutto Marge noch nicht berücksichtigt.


Das Unternehmen Pomme aus obigen Beispiel hat nun Kosten in Höhe von 70$ für den Verkauf und Vertrieb seiner Produkte und gibt weitere 70$ für Forschung und Entwicklung aus. Ziehen wir dies vom Gross Profit ab, so erhalten wir das sogenannte Operating Income:



Revenue

-
Cost of Revenue

=
Gross Profit

-
Selling, General & Administrative Expenses

-
Research & Development Expenses

=
Operating Income (=EBIT)


Für Pomme sieht das prozentual so aus:


100% Revenue

- 60% Cost of Revenues

=
40% Gross Margin

- 7% SG&A

- 7% R&D

=
26% Operating Income Margin


Dies ist immer noch nicht der eigentliche Gewinn, denn auf Gewinne müssen ja bekanntlich noch Steuern gezahlt werden. Dies berücksichtigen wir aber im Weiteren nicht mehr und betrachten nur das Operating Income. Im Falle von Pomme heißt das, dass von 1.000$ Umsatz etwa 260$ als Gewinn (vor Steuern) beim Unternehmen übrig bleibt. Je höher die Operating Income Margin ist, desto profitabler ist demnach ein Unternehmen.


Nun geht es in diesem Beitrag allerdings nicht um die Operating Income Margin sondern um die Gross Margin. Die Höhe der Gross Margin kann ein Indikator für die Preissetzungsmacht eines Unternehmens sein. Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag aber auf einen anderen Aspekt: die Widerstandsfähigkeit eines Unternehmens gegenüber Inflation. Hier spielt die Gross Margin eine entscheidende Rolle.



Zwei ziemlich gleiche Unternehmen?


Betrachten wir zwei Unternehmen Apfel und Birne. Wir schlüsseln deren Kosten als prozentualen Anteil am Umsatz auf:


Unternehmen Apfel

100% Revenue

- 30% Cost of Revenues

=
70% Gross Margin

- 25% SG&A

- 15% R&D

=
30% Operating Income Margin


Unternehmen Birne

100% Revenue

- 55% Cost of Revenues

=
45% Gross Margin

- 10% SG&A

- 5% R&D

=
30% Operating Income Margin


Beide Unternehmen haben eine dreißig prozentige EBIT-Marge und sind daher hoch profitable Unternehmen. Legen wir unser Augenmerk jedoch auf die Gross Margin so fällt auf: Apfel hat eine Gross Margin von 70% während Birne eine Gross Margin von 45% hat. Das scheint zunächst einmal egal, denn am Ende erzielen beide Unternehmen aus 1.000$ Umsatz einen Gewinn von 300$.


In einer Phase hoher Inflation steigen allerdings nicht alle Kosten eines Unternehmens gleichermaßen. Insbesondere die cost of revenues, welche Herstellungskosten, Arbeitskosten, Rohstoffkosten und Energiekosten enthalten, wird in etwa mit der Inflationsrate steigen, wohingegen die anderen Kostenpunkte nicht im gleichen Maße der Inflation unterliegen.


In diesem Beispiel gehen wir von einer annualisierten Inflation von 8% aus. Wir nehmen in dem hypothetischen Szenario an, dass die sonstigen Ausgaben sich prozentual nicht ändern. Wie sehen die Bilanzen der beiden Unternehmen nach der Inflation aus?


Unternehmen Apfel

100% Revenue

- 32,4% Cost of Revenue (+2,4%, 8% Inflation)

=
67,6% Gross Margin

- 25% SG&A

- 15% R&D

=
27,6% Operating Income Margin


Unternehmen Birne

100% Revenue

- 59,4% Cost of Revenue (+4,4%, 8% Inflation)

=
40,6% Gross Margin

- 10% SG&A

- 5% R&D

=
25,6% Operating Income Margin


Die Operating Margin von Apfel ist durch die Inflation von 30% auf 27,6% gefallen. Das entspricht einen Gewinnrückgang von 8%. Ganz anders sieht es bei Birne aus: die Operating Margin ist von 30% auf 25,6% gefallen. Ein Rückgang um etwa 15%!


Obwohl also beide Unternehmen derselben Inflationsrate von 8% unterliegen, wird das Unternehmen mit der niedrigeren Gross Margin härter getroffen und müsste - bei sonst gleichbleibenden Umsätzen - einen Gewinnrückgang von knapp 15% verkraften. Um einen Gewinnrückgang zu vermeiden müsste Birne also die Preise um 15% erhöhen wohingegen Apfel die Preise nur um 8% erhöhen müsste.


Sind beide Unternehmen direkte Konkurrenten so ist es noch paradoxer: Apfel hat mit seiner hohen Gross Margin wahrscheinlich ohnehin eine hohe Preissetzungsmacht und muss die Preise nur um 8% erhöhen, um die gestiegenen Herstellungskosten auszugleichen. Im Gegensatz dazu müsste der Konkurrent Birne seine Preise aber um ganze 15% erhöhen, um denselben Effekt zu erzielen. Entweder Birne entscheidet sich für 15% Preiserhöhung und muss in Kauf nehmen, dass einige Kunden zu Apfel wechseln oder die erhöhten Herstellungskosten können nicht direkt an den Kunden weitergegeben werden, was zukünftige Gewinne verringert.



Zusammenfassung


Bei obiger Betrachtung handelt es sich natürlich um ein idealisiertes Beispiel was wahrscheinlich nicht genauso in der Praxis auftritt. Allerdings ist es auch kein akademisch konstruiertes Beispiel und dieser Effekt lässt sich in der Tat bei Unternehmen beobachten: während LVMH ($MC (+1,3 %)) seine Gross Margin von 2021 auf 2022 konstant bei etwa 68% halten konnte, sank bei Target ($TGT (+2,86 %)) die Gross Margin getrieben durch die höheren Cost of Revenues von etwa 29% auf etwa 24%. Im selben Zeitraum stand bei leicht gesteigerten Umsatz dann bei Target auch ein Gewinnrückgang von ca. 14% zu buche.


#bilanzen
#kennzahlen
#finanzen



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19 Kommentare

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@ccf 💪😊 weil ich einfach weiß das deine Post immer 🚀 sind muss ich aber für Bookmark speichern für später weil grad auch was kaufen und auf gif Recherche bin 😁
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Daher also der Spruch, dass man Äpfel und Birnen nicht vergleichen soll. 😉
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Wieder ein guter Beitrag zu Kennzahlen!

PS: auch wenn man Äpfel und Birnen nicht vergleichen soll, aber mit 25% SG&A scheinen die Äpfel ziemlich ineffiziente Abläufe im Unternehmen zu haben 😵‍💫, aber da hat man dann zumindest auch gleich Einsparungspotential identifiziert - wie haben es die großen vor einem halben Jahr gemacht - 10.000 Köpfe raus, und 2 Quartale später passen die Zahlen wieder 🧐
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Geil 🚀 @ccf
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@ccf 🫡👌🏽
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@ccf und Bookmark ❤️
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