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>>Psychologie und Börse<<


Die meisten von uns kennen es: Finfluencer Jürgen lächelt beseelt in die Kamera und wiederholt wie schön es doch ist, dass Tesla um 10% gefallen ist. "Ich kaufe jetzt erstmal nach und freue mich über den günstigen Einstiegskurs". Freuen über fallende Kurse? Dabei mag der Blick in das persönliches Depot aktuell nicht wirklich Freude aufkommen. In diesem Post soll es genau um psychologische Faktoren beim Investieren gehen. Dabei soll es nicht um die "harten Fakten" wie KGV, Wachstum oder Margen gehen, sondern wir begeben uns vielmehr auf einen kleinen Exkurs der menschlichen Verhaltensweisen. Resultat des Ganzen ist dann ein hoffentlich tieferes Verständnis dafür warum es scheinbar immer wieder zu irrationalen Auf- und Abbewegungen bei Aktienkursen kommt und wie wir uns dem gegenüber verhalten könnten. Dieser Beitrag soll keineswegs ein "all-in-Aktien" oder "einfach weiter so" suggerieren; vielmehr geht es um eine Auseinandersetzung mit den Gründen für gewisse Verhaltensweisen von Menschen an der Börse.


Zunächst geht es darum wie Menschen - losgelöst vom Thema Börse - unterbewusst handeln. Danach werden wir das Ganze im Hinblick auf das Thema Börse betrachten und im letzten Abschnitt widmen wir uns dann möglichen Strategien, die auf diesem Wissen beruhen. Achtung das ist ein sehr langer Post; nehmt euch also Zeit und holt euch einen Kaffee.


(I) Verhaltenspsychologie


„Die schlimmste und verbreitetste Krankheit, die uns alle, unsere Literatur, unsere Erziehung, unser Verhalten zueinander durchseucht, ist die ungesunde Sorge um den Schein.“ - Walt Whitman, US-amerikanischer Dichter [3]


>>Angst<<

Wir Menschen sind angstgetriebene Lebewesen. Das ist evolutionsbedingt so. Früher als wir noch in Höhlen lebten und auf die Mammutjagd gingen, war jeder potenzielle Fehler TÖDLICH. Einmal nicht nach unten geschaut, über eine Baumwurzel gestolpert und schon war das Bein gebrochen. In der damaligen Zeit eine Verletzung, die uns sicher das Leben gekostet hätte. Demzufolge sind wir evolutionsbedingt darauf getrimmt vorsichtig zu sein. Etwas überspitzt ausgedrückt: die Angsthasen von gestern sind unsere Vorfahren. Dieses Verhalten hat sich bei uns unterschwellig und ohne dass wir uns dessen bewusst sind, zementiert. Dabei ist es bei manchen Personen offensichtlich, bei anderen hingegen nur unterbewusst vorhanden. Dabei geht es heutzutage bei den meisten Entscheidungen selten um Leben und Tod. Trotzdem spiegelt sich unser Ängstlichkeit/Vorsicht in ganz alltäglichen Situationen wider. Klassisches Beispiel Gebrauchtwagenkauf: "Soll ich den wirklich kaufen? Ist der nicht zu teuer? Wer weiß, ob da nicht ein versteckter Defekt ist? Was ist denn wenn ich den kaufe und zwei Monate später muss ich in die Werkstatt und mich erwartet eine Rechnung von tausenden Euro? Ohne eine 3 jährige Garantie nehme ich den auf jeden Fall!" Die unterbewusste Angst eine falsche Entscheidung zu treffen hat dafür gesorgt, dass der Gebrauchtwagenhändler nun nicht nur den Wagen los bekommt sondern auch noch eine teure Garantie verkaufen kann.


>>Herdendrang<<

Genauso tief wie die Angst ist in uns das soziale Miteinander und vor allem das Zugehörigkeitsgefühl verwurzelt. Als wir noch in Stämmen und Sippen lebten, waren wir auf die Zugehörigkeit zu einer Gruppe angewiesen. Denn nur zusammen konnte man es schaffen den Nachwuchs großzuziehen, genug Nahrung zu beschaffen und sich auch noch gegen äußere Einflüsse zu verteidigen. Das spannt dann den Bogen zurück zur Angst: einer der schlimmsten Ängste, die wir haben ist von unserem sozialen Gefüge verstoßen zu werden. Sei es die eigene Familie, sei es der eigene Freundeskreis oder die Arbeitskollegen. Dies mündet dann darin, dass wir unterbewusst viele Entscheidungen so treffen, dass sie konform zu der Mehrheitsmeinung in unserem sozialen Gefüge ist. Dieses Phänomen ist auch als Herdendrang bekannt. So wie ein Zebra, dass beim Angriff eines Hyänenrudels nicht nach links rennt, wenn die restliche Zebra-Herde nach rechts rennt. Das mag zwar Ausdruck von individueller Verhaltensweise sein, endet aber für das Zebra höchstwahrscheinlich tödlich.


>>framing<<

Wir müssen uns zudem bewusst machen, dass wir als Menschen nicht nur darauf reagieren WAS gesagt wird sondern auch WIE etwas gesagt wird. Dabei meine ich jetzt nicht den Streit mit dem/der Partner/in oder die allseits bekannten Floskeln "so wie es in den Wald reinschallt, so schallt es wieder hinaus". Vielmehr geht es um die spezielle Wortwahl. Alleine durch die Wortwahl setzen wir Informationen in einen gewissen Kontext. Denn Worte wecken Assoziationen und Emotionen. Dieser ganze Effekt verstärkt sich nochmals wenn es um vermeintlich existenzielle Nachrichten geht. Ein Beispiel hierfür:


"In einem Experiment bekamen zwei Gruppen eine jeweils 60 Wörter lange Geschichte präsentiert. Beide Texte haben auf identische Art und Weise die steigende Kriminalität in einer Stadt beschrieben. Der einzige Unterschied – einmal wurde von einer „lauernden Bestie“ gesprochen und das andere Mal von einem „sich ausbreitenden Virus“."[1]


Hier ist das sogenannte "framing" entscheidend. Wird die Kriminalität als "Bestie" beschrieben, so assoziiert man damit eher "bekämpfen" oder "töten", was dazu geführt hat, dass sich die Teilnehmer der ersten Gruppe vermehrt dafür aussprachen eine härtere Bekämpfung der Kriminalität durch mehr Polizei und härtere Strafen durchzuführen. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe, denen die Kriminalität als "Virus" beschrieben wurde, argumentierte nun - auch anhand der gleichen Fakten im Text - dafür, bessere Präventivmaßnahmen gegen Kriminalität zu ergreifen. Das liegt vor allem daran, dass man mit dem Wort "Virus" eher eine Krankheit in Verbindung bringt und dies am besten durch geeignete Präventivmaßnahmen verhindert. Das ist eines von unzähligen Beispielen wie framing unsere Entscheidungen und Denkweisen beeinflussen kann. Wird von "nicht abreißenden Flüchtlingsströmen" geredet, so produziert dies in unseren Köpfen Bilder von Sintflut, Überschwemmung, Not und Elend und löst gewisse Emotionen und Reflexe aus, wobei eine der stärksten Emotionen, die wir als Menschen empfinden können, natürlich die Angst ist.



>>ankern<<

Ein weiterer interessanter Aspekt ist das sogenannte "ankern". Anschaulich erkärt es folgendes kleines Beispiel: das Lieblingsgetränk im Supermarkt um die Ecke kostet 1€. Wird dieser Preis nun auf 2€ erhöht, so empfinden wir das als teuer da wir immer noch den Preis von 1€/Getränk in unserem Gedächtnis "verankert" haben. Eine Person, die vorher noch nie dieses Getränk im Supermarkt gesehen oder gekauft hat, wird den Preis von 2€ eventuell nicht als teuer empfinden weil dieser Person der "Anker" fehlt. So ist es zum Beispiel erwiesen, dass bei einer Preisverhandlung die erste im Raum stehende Zahl den größten Einfluss auf das Endergebnis hat, sogar dann wenn diese Zahl nicht viel mit dem eigentlichen Preis zu tun hat. So veranstalte der Verhaltenspsychologe Dan Ariely folgendes Experiment: "Er ließ Studenten die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufschreiben. Anschließend sollten sie angeben, wie viel sie bereit waren, für eine Flasche Wein auszugeben. Das verblüffende Ergebnis: Die Studenten, deren Sozialversicherungsnummern hohe Endziffern hatten, waren bereit, im Schnitt knapp 28 Dollar auszugeben – die mit niedrigen Ziffern nur 9 Dollar. Die Sozialversicherungsnummern waren ein Anker für die Studenten, sie beeinflussten, wie viel oder wenig sie zahlen wollten – obwohl die Ziffern nichts mit dem Wein zu tun hatten." [2]

Das ist natürlich ein Extrembeispiel, verdeutlicht aber wie wir uns unterbewusst immer wieder Anker setzen, die unsere Entscheidungen beeinflussen.


>>confirmation bias<<

Wir als Menschen tun uns schwer darin unsere eigene Meinung zu revidieren. Wenn ich einmal als großer Befürworter einer Sache auftrete, fällt es mir umso schwerer diese Meinung im Nachhinein zu revidieren. Äußern wir unsere Meinung dann noch gegenüber Außenstehenden, fällt es mir noch schwerer, denn einzugestehen, dass ich falsch lag, würde meine Außenwirkung negativ beeinflussen und so mögliche Risiken nach sich ziehen (siehe Angst & Herdendrang). Stattdessen suchen wir unterbewusst immer wieder nach Bestätigung für unsere eigene Meinung und ignorieren jene Fakten, die gegen unsere Meinung sprechen. Das ist der sogenannte "confirmation bias" oder weniger sexy auf deutsch "Bestätigungsfehler". Dieser ist in zahlreichen Studien belegt wurden. Jede noch so kleine Bestätigung für unsere Meinung ist ein Segen für uns und wir reagieren mit einem typischen "hab ich dir doch gesagt" oder "siehst du, ich habs immer schon gewusst". Mögliche andere Meinungen werden dagegen ignoriert, als unwichtig abgetan oder die Kompetenz der Quelle infrage gestellt. Formal und abstrakt ausgedrückt bedeutet dies, dass eine anfängliche Hypothese nicht verworfen wird obwohl Fakten und Beobachtungen dafür sprechen diese zu verwerfen.


(II) Verhaltenspsychologie und Börse


„Eine abnormale Reaktion auf eine abnormale Situation ist normales Verhalten.“ - Viktor Frankl österreichischer Neurologe und Psychiater [3]


Wozu jetzt die ganze Psychologie? Was hat das mit Aktien und Börse zu tun? Die Antwort ist simpel: die Preise an der Börse sind MENSCHENGEMACHT und haben zunächst einmal nichts mit irgendeinem "fairen Wert"zu tun. Selbst wenn es heutzutage vollautomatische Algorithmen gibt, die Aktien in Bruchteilen von Sekunden in Asien kaufen, um sie dann in den USA zu verkaufen, so basiert jener Algorithmus im Endeffekt trotzdem auf Vorstellungen von Menschen wann etwas wertvoll und wann es dies nicht ist; jeder Algorithmus wurde irgendwann mal von einem (mehr oder weniger) cleveren Menschen entwickelt und implementiert. Auch neue Technologien wie KI-basiertes Handeln imitieren im Kern nur das menschliche Verhalten in dem die KI "lernt" wie wir Menschen uns in der Vergangenheit optimal verhalten hätten. Bewusst oder unterbewusst ist der Preis eines Wertpapiers/Assets von unserer Vorstellung eines "fairen" Wertes abhängig. Da dies subjektiv ist kommt es überhaupt zu Kursbewegungen an der Börse. Wir wdimen uns nun nacheinander den Themen Angst, Herdendrang, framing, ankern und confirmation bias im Kontext der Börse.


>>Angst<<

Gerade in diesen Zeiten schauen wir quasi stündlich auf das Depot nur um dann zu sehen, dass unser Depot schon wieder 2.36% im Minus ist und das ist nun schon der fünfte Tag in Folge mit einem Minus. Plötzlich tauchen unsere Ängste auf: "Wird jetzt alles zusammenbrechen?" oder "Wieviel Geld werde ich noch verlieren?". Das dies komplett normal und menschlich ist, sollte jedem bewusst sein. Das heißt aber nicht, dass diese Angst unbedingt gerechtfertigt oder rational ist. Oftmals wecken solche Situationen in uns den - aus frühmenschlicher Entwicklung stammenden - Fluchtreflex. Bloß schnell alles verkaufen, um Verluste in Grenzen zu halten. Das was durch den Verkauf an Geld reinkommt ist ja sicher auf dem Konto.


>>Herdendrang<<

Setzt nun bei immer mehr Menschen dieser Fluchtreflex ein und sie verkaufen ihre Assets, so senkt das den Preis des Assets (Angebot übertrifft Nachfrage) und wir sehen noch größere Verluste im Depot. Jetzt verkaufen also alle? Dann werde ich lieber auch noch schnell verkaufen bevor es zu spät ist! Man will ja schließlich nicht der letzte Idiot sein, der dann auf diesen ganzen blöden Aktien sitzt und dann schließlich alles verliert.

Genauso groß wie die Angst vor Verlusten kann aber auch die Angst sein etwas zu verpassen. Wenn in deinem Umfeld jeder von der neuen Superaktie spricht, die ihnen schon 8.000% Rendite gebracht hat, so möchtest du doch nicht der einzige Depp sein, der nicht in die Superaktie investiert ist. Beispiele für solches Verhalten sind die Dotcom-Blase 2001, der Börsengang der Deutschen Telekom oder unser aller Liebling Wirecard. Hier wurde blind, gehyped und ohne viel Kenntnis gekauft, gekauft, gekauft und nochmals gekauft, einfach weil jeder zu der Zeit gekauft hat und es zu verlockend war an den vermeintlichen Kursgewinnen mitzuverdienen. Das Ende der Geschichten dürfte allen bekannt sein.


>>framing<<

Hat sich eigentlich schon mal einer von euch gefragt wieso fallende Kurse oftmals in rot und steigende Kurse mit grün angezeigt werden? Was banal klingen mag hat aber schon Auswirkungen auf unsere Interpretation. Rot wird allgemein als Warnfarbe oder Signalfarbe genutzt. Nicht umsonst sind viele Verbotsschilder oder Stopp-Schilder im Straßenverkehr rot. Eine rote Ampel ist das Signal anzuhalten und nicht über die Straße zu gehen. Das oftmals zitierte "Überschreiten der rote Linie" der Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringen würde. Grün ist die Farbe der Hoffnung. Im Frühling erwacht das Leben, alles wächst und gedeit; es wird grün. Die grüne Ampel ein Signal für risikoloses Überqueren der Straße.

Unterbewusst intepretieren wir also rote Kurse als "schlecht", "Warnung" oder als "Stopp-Signal"; grüne Kurse hingegen sind "freundlich", "wachsend", "risikolos" und "hoffnungsvoll". Wo wird es uns also leichter fallen mit gutem Gewissen zu investieren?

Das ist nur ein Beispiel von vielen, die uns unterbewusst in unserer Stimmung und Verhalten beeinflussen können. Nachrichten wie "das große Blutbad an der Börse" oder "Student verzockt 10.000€ an der Börse" weckt eben gewisse Assoziationen ins uns. Die Börse wird mit einem Amoklauf assoziiert und Leute, die Aktien haben, sind Roulette-Spieler, welche schon bald ihr ganzes Geld verzocken werden.


>>ankern<<

Der wohl einleuchtendste Beispiel für ankern im Kontext Aktien ist der Preis einer Aktie. Wir sehen den aktuellen Preis und überlegen ob wir kaufen, verkaufen oder halten (falls wir die Aktie schon besitzen).

Kaufen wir die Aktie, so ist unser "Anker" der Einstiegskurs und dieser "verankert" sich in unserem zukünftigem Handeln. Steigt der Preis der Aktie mit der Zeit, weil die Unternehmensaussichten sehr gut sind und das Unternehmen konstant abliefert, so freuen wir uns natürlich. Aber wollen wir eventuell noch mehr Aktien kaufen? Oftmals scheuen wir uns davor, weil wir eben unseren persönlichen Einstiegspreis im Kopf haben und vernachlässigen dabei, dass das Unternehmen in der Zeit zum Beispiel mehr Geld als geplant verdient hat

oder höhere Dividenden ausschüttet. Wir verpassen die Chance auf mehr Aktien, weil unser Anker uns hemmt nachzukaufen. Es kann aber auch genau das Umgekehrte passieren: die Aktie sinkt und wir verkaufen nicht weil wir unseren Anker im Kopf haben und warten wollen bis der Preis zumindest wieder nah bei unserem Anker ist. Wir schaffen es also oftmals nicht uns von unserem Anker zu lösen und objektiv zu entscheiden ob etwas gekauft, verkauft oder gehalten werden sollte.



>>confirmation bias<<

Beispiele für den confirmation bias in der Aktienwelt gibt es genug. Hier ein vielleicht etwas unterhaltsameres:

Jürgen kauft - überlegt oder unüberlegt sei erstmal dahingestellt - eine Aktie vom Unternehmen "HYPE" zum Preis von 100€. Die Aktie steigt im nächsten Jahr auf 1.000€. Jürgen freut sich, Sätze wie "ich habe es doch gesagt" oder "das Ding war totsicher" fallen und er träumt schon von einer eigenen Insel in den Malediven, da sich die Entwicklung ja logischerweise fortsetzen wird. Nun tauchen negative Nachrichten um "HYPE" auf. Die Aktie beginnt zu fallen, aber Jürgen hält alles bloß für kurzfristige Kursschwankungen. Nach einem weiteren Jahr schlechterer Meldungen ist die Aktie nur noch 500€ wert. Jürgen spricht nun von "unglaublichen Potenzial nach oben" schließlich stand die Aktie ja schon bei 1.000€. Eines Tages wird der CEO Holger von "HYPE" entlassen weil er Firmengelder veruntreut hat. Die Aktie fällt auf 100€. Doch Jürgen nutzt die Chance und kauft eine weitere Aktie für diese 100€ (ankern lässt grüßen). Das Potenzial von 1.000€ ist ja immer noch da und von dem Fehlverhalten einer einzelnen Person lässt sich ja nicht auf das ganze Unternehmen HYPE schließen.

Ihr ahnt sicherlich wie diese Geschichte weitergehen könnte. Der (potenzielle) Fehler von Jürgen lag im Festhalten an seiner ursprünglichen Investment-Hypothese: "HYPE ist ein gutes Unternehmen". Nach anfänglichen Bestätigungen dieser Hypothese in Form von steigenden Aktienkursen, gelang es ihm aber nicht mehr einen neutralen Blick auf HYPE zu richten und zu einer neuen Bewertung seiner Hypothese zu kommen. Dazu hätte er seine ursprüngliche Hypothese korrigieren müssen, was aber - wie bereits erwähnt - deutlich schwieriger ist als einfach an seiner ursprünglichen Hypothese festzuhalten. Stattdessen hat er nach Bestätigung für den Kauf gesucht und die positiven Aspekte (Kurspotenzial, bisherige Kursgewinne) übergewichtet und die negativen Aspekte (negative Meldungen, CEO wird entlassen) entweder untergewichtet bzw. sogar komplett ignoriert.


(III) Lösungsvorschläge


„Ein Leben ohne Risiko ist keines.“ - Franz Porzsolt, deutscher Arzt [4]


Zum Schluss möchte ich noch einige Möglichkeiten vorstellen, wie man versuchen kann sich dem Ganzen etwas zu entziehen.


>>Angst<<

Das Motiv für einen Kauf oder Verkauf sollte nie Angst sein. Habe keine Panik, wenn die Kurse mal für längere Zeit fallen, aber kaufe auch nicht einfach deswegen weil die Kurse gerade steigen. Das ist leicht gesagt, aber wie kann man das erreichen? Das mag für jeden anders sein, aber mir persönlich hat es enorm geholfen, mir immer bewusst zu sein warum ich etwas kaufe oder verkaufe. Dabei darf die Begründung für den Kauf bzw. Verkauf nie exklusiv "steigende Kurse" bzw. "fallende Kurse" sein. Das Motiv "steigende Kurse" schließt auf die Angst durch nicht-kaufen etwas zu verpassen und das Motiv "fallender Kurs" auf Angst vor Verlusten. Gleichwohl muss der Kurs natürlich bei der Kauf- oder Verkaufsentscheidung als einer von vielen Aspekten einbezogen werden. Dafür ist es meiner Meinung nach wichtig die Kennzahlen eines Unternehmens zu kennen um ein besseres Gespür zu bekommen was "günstige" oder "teure" Kurse sind.


>>Herdendrang<<

Kaufe oder Verkaufe nie weil es gerade der Großteil der Leute so macht. Möchtest du ein Asset kaufen, mach dir bewusst WARUM du es kaufen möchtest und überlege dir einen fairen Preis; stelle dir also deine persönliche Investment-Hypothese auf. Möchtest du verkaufen, dann überlege dir auch hier genau warum du verkaufen möchtest. Nur weil gerade viel verkauft wird und die Kurse fallen, ist die ursprüngliche Investment-Hypothese nicht automatisch falsch. Wenn sich fundamental nichts geändert hat, gibt es auch keinen Grund für das Ändern der eigenen Investment-Hypothese. Hat sich fundamental etwas geändert muss man neu evaluieren ob bei den derzeitigen Rahmenbedigungen das Investment beibehalten/ausgebaut/aufgelöst werden kann/soll.


>>framing<<

Das Framing durch Wortwahl und optische Darstellungen in Nachrichten, Aktienkursen oder Expertenmeinungen lässt sich kaum vermeiden, denn es wirkt auf uns in den meisten Fällen unterbewusst. Man kann nur versuchen sich dessen etwas mehr bewusst zu werden. Wenn jemand die Börse mit einem Casino vergleicht überlege dir ob dieser Vergleich wirklich Sinn ergibt oder ob es hier fundamentale Unterschiede gibt. Alleine das Nachdenken darüber wird dich schon weiterbringen.

Wir können das framing aber auch positiv einsetzen in dem wir passende Analogien heranziehen und somit unser Investment in einen positiven Rahmen (frame) setzen. Ein einfaches Beispiel: du bist überzeugt, dass dein Haus 500.000€ wert ist und der Nachbar verkauft sein baugleiches Haus heute für 450.000€. Du gehst heute ins Casino mit 500.000€ und gehst mit 450.000€ nach Hause. In welchem der beiden Fälle hast du wirklich 50.000€ verloren und in welchem Fall handelt es sich nicht um "echte" Verluste?


>>ankern<<

Lasse dich nie von deinem Einstiegspreis bei einem Investment blenden. Überlege dir in regelmäßigen Abständen ergebnisoffen(!) ob sich deine Investment-Hypothese geändert hat. Ist dein Einstiegpreis günstig und die Aktie steigt, so schaue in regelmäßigen Abständen ob sich etwas an deiner Hypothese geändert hat. Hat sie sich zum positiven geändert kannst du trotz der höheren Preise nachkaufen, obwohl das unseren Einstiegspreis - also unseren Anker - nach oben schiebt. Hat sich etwas Fundamentales zum Negativen entwickelt, so wäge ab inwieweit das deine Hypothese beeinträchtigt und entscheide dann was du machst. Bist du der Meinung, dass sich etwas so zum negativen geändert hat, dass deine Hypothese nicht mehr Stand hält, so ziehe auch einen Verkauf in Betracht. Auch hier könnte unserer Anker uns davon abhalten, denn wir sehen ja wie weit der aktuelle Kurs noch über unserem Anker liegt.

Genauso sollten wir aber auch bei Kursverlusten handeln. Ist der aktuelle Kurs niedriger als unserer Anker, so heißt es nicht automatisch verkaufen oder nachkaufen. Zudem sollte man nie den Fehler machen eine Aktie solange zu halten bis ein Kursverlust wieder ausgeglichen ist (zurück zum Anker). Der Plan diese dann am breakeven-point zu verkaufen ist meistens keine gute Idee. Die Telekom-Aktionäre der ersten Jahre warten schon über 20 Jahre auf diesen Punkt (von Dividendenzahlungen mal abgesehen).


>>confirmation bias<<

Um zu vermeiden, dass wir versuchen uns immer wieder selbst zu bestätigen können wir eine Methode anwenden, die auf den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper zurückgeht [6]: versuche nie deine eigene These zu bestätigen, sondern versuche zu zeigen, dass deine eigene These falsch ist.

Wenn ich also überzeugt bin, dass ein Unternehmen wächst und damit wertvoller wird, so versuche nicht mittels deiner Recherche zu zeigen, dass das Unternehmen wachsen wird. Du selbst bist ja im Idealfall bereits davon überzeugt. Versuche vielmehr dich davon zu überzeugen, dass das Unternehmen nicht wächst. Gelingt dir das nicht, so ist deine These, dass das Unternehmen wächst, indirekt bestätigt.



Ich hoffe ich konnt euch einen kleinen Einblick in das Thema gewähren. Natürlich sind diese Themen nicht losgelöst und einzeln zu betrachten sondern im Zusammenspiel miteinander.

Quellen:


[1] Zeitjung: https://www.zeitjung.de/framing-was-ist-das/

[2] Impulse: https://www.impulse.de/management/marketing/ankereffekt/7376303.html

[3] Berühmte Zitate: https://beruhmte-zitate.de/themen/verhalten/

[4] Brandeins: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2015/maschinen/ein-leben-ohne-risiko-ist-keines

[5] Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Confirmation_bias

[6] Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popper

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28 Kommentare

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Wunderbarer Beitrag ❤️👌🏻 @ccf

Das wird wirklich ein knappes Rennen zwischen dir und dem Accountant diesen Monat 😂

Ich versuche diese psychologischen Effekte abzubauen, hoffe das kommt mit der Erfahrung. Weiter so!
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@ccf weil ich the Office und Psychologie mag und dein Beitrag ist auch ganz nett 😘
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Wow Klasse ☺️👍 muss mir speichern jetzt mit Finger am Abzug bissle schwierig 😂
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Mega Beitrag! 🚀 Hat total Spaß gemacht zu lesen und ist eine gute Erinnerung nicht in alte Gewohnheiten und Denkmusterzu verfallen, kann man ja auf alles mögliche anwenden. „Versuche deine eigene These zu widerlegen“ - liebe ich! @ccf
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Ein sehr guter Beitrag :)
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Dankeschön - toll geschrieben. Hab ein paar Impulse für mich mitgenommen und hinterfrage mich jetzt mehr, bevor ich handel (wortwörtlich). 😊🤙
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@ccf

Kaffee gibt’s nicht mehr um 20.00 Uhr.
Die Sache mit dem Anker klappt z.B. optimal in der Gehaltsverhandlung.. einfach mal das erste Angebot raushauen, welches dann unterbewusst als Anker dient ;-)

Zum Thema Angst an der Börse muss ich sagen, dass ich den „Fluchtreflex“ nicht verstehe. Vielleicht noch nicht. Ich denke wenn du wirklich mit Überzeugung investierst, mit langem Horizont und nur Geld rein haust was du nicht im jeden Preis brauchst.. kann man jede Krise entspannt aussitzen.
Andersherum kickt bei mir FOMO auch ab und zu, aber nur weil ich kein Cash habe und auf Soarpläne warten muss, wenn die Kurse mal wieder günstig stehen.
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