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Ein Kommentar von @Tenbagger2024 hat mich auf die Idee gebracht, diesen Beitrag zu schreiben – über eine Kennzahl, die im Alltag vieler Anleger kaum Beachtung findet, aber essenziell ist, wenn man Wachstum und Bewertung wirklich verstehen will: die PEG-Ratio.
Im letzten Beitrag zur Rule of 40 ging es darum, wie man operative Qualität misst – also, ob ein Unternehmen nicht nur wächst, sondern auch profitabel bleibt. Heute geht es um den zweiten Teil der Gleichung: den Preis des Wachstums. Denn Qualität ist nur dann interessant, wenn sie zu einem vernünftigen Preis zu haben ist. Genau das will die PEG-Ratio abbilden.
Die Formel ist simpel:
PEG = KGV / Gewinnwachstum (% pro Jahr)
Eine PEG von 1 gilt als fair bewertet. Werte unter 1 können auf Unterbewertung hinweisen, Werte über 1 auf ambitionierte oder bereits eingepreiste Erwartungen. Doch die Zahl allein sagt wenig – entscheidend ist, wie stabil und realistisch das Wachstum tatsächlich ist.
Das klassische KGV betrachtet nur den Moment. Es sagt, was der Markt heute für einen Euro Gewinn zahlt, nicht aber, was er morgen erwartet. Die PEG-Ratio ergänzt diese Momentaufnahme um die Zeitdimension. Sie verbindet Preis und Dynamik – und macht sichtbar, ob ein Unternehmen für seine Zukunft zu teuer oder überraschend günstig bepreist ist.
Ein Beispiel: Ein Softwarekonzern mit einem KGV von 40 wirkt auf den ersten Blick teuer. Wächst der Gewinn aber um 40 % jährlich, liegt die PEG bei 1 – und die Bewertung ist plötzlich logisch. Umgekehrt kann ein Telekomkonzern mit KGV 7 überbewertet sein, wenn der Gewinn kaum noch wächst. PEG hilft, diese Täuschungen zu vermeiden, indem sie Wachstum in Relation zum Preis setzt.
Beispiele aus der Praxis (Stand: 1. November 2025):
$MSFT (+0,86 %) (Microsoft)
KGV rund 37, erwartetes Gewinnwachstum etwa 15 % → PEG ≈ 2,5.
Microsoft bleibt ein Musterbeispiel für Stabilität und Preissetzungsmacht. Eine PEG über 2 signalisiert: Der Markt bezahlt hier für Verlässlichkeit. Hohe Margen, enorme Cashflows, aber auch eine Premiumbewertung.
$GOOG (+1,2 %) (Alphabet)
KGV rund 28, Wachstum ca. 15 % → PEG ≈ 1,9.
Formal überbewertet, aber kontextuell fair. Alphabet wächst beständig, verdient überdurchschnittlich und investiert aggressiv in KI. Eine PEG nahe 2 zeigt: Qualität ist nicht billig – aber berechenbar.
$NVDA (+3,27 %) (NVIDIA Corporation)
KGV rund 35, erwartetes Gewinnwachstum etwa 33 % → PEG ≈ 1,05.
Der vermeintlich teure KI-Champion zeigt, dass hohe Multiples nicht zwingend Übertreibung bedeuten. Das Gewinnwachstum gleicht die Bewertung fast vollständig aus. NVIDIA steht sinnbildlich für „teuer, aber verdient“. Die Risiken liegen weniger in der PEG, sondern in der Zyklizität der Nachfrage.
$PLTR (+1,36 %) (Palantir Technologies)
Forward-KGV rund 200, Wachstum ca. 35 % → PEG ≈ 6.
Ein Extremfall. Starkes Wachstum, aber eine Bewertung, die längst mehr Zukunft als Gegenwart enthält. Die PEG zeigt, wie schnell sich eine Wachstumsstory in Überbewertung verwandeln kann.
$T (-1,75 %) (AT&T)
KGV 7, Wachstum 1–2 % → PEG zwischen 3,5 und 7.
Der klassische Trugschluss. AT&T wirkt günstig, weil das KGV niedrig ist, bleibt aber ein Beispiel für fehlende Dynamik. Eine hohe PEG trotz niedriger Bewertung zeigt: Preis allein ist keine Chance, wenn das Wachstum fehlt.
$IREN (+8,66 %) (Iris Energy)
Forward-KGV ca. 18, erwartetes Gewinnwachstum über 60 % → PEG ≈ 0,3.
Ein Gegenpol. Auf dem Papier günstig, da die Bewertung im Verhältnis zum erwarteten Wachstum niedrig ist. Doch Vorsicht: Das gilt nur, wenn das Wachstum realisiert wird. Fällt der Bitcoinpreis oder sinkt die Mining-Profibilität, kippt das Verhältnis sofort. Eine niedrige PEG ist kein Freifahrtschein, sondern eine Wette auf Umsetzung.
Diese Beispiele zeigen: PEG ist kein mathematisches Urteil, sondern ein Werkzeug zur Einordnung. Sie erklärt nicht, was eine Aktie kostet, sondern warum. Microsoft und Alphabet sind teuer, aber nachvollziehbar bewertet. Palantir ist Wachstum auf Kredit. AT&T ist „Value“ ohne Bewegung. NVIDIA ist der Beweis, dass hohes Wachstum eine hohe Bewertung rechtfertigen kann. Iris Energy wiederum steht für spekulatives Momentum – viel Potenzial, aber wenig Planbarkeit.
PEG trennt damit nicht billig von teuer, sondern verdient von unverdient.
Oft heißt es, PEG sei nur innerhalb einzelner Branchen sinnvoll. Das stimmt nur bedingt. Ursprünglich wurde sie von Peter Lynch entwickelt, um Wachstum branchenübergreifend vergleichbar zu machen – also Tech gegen Industrie, Pharma gegen Konsumgüter.
Die PEG erlaubt genau diesen Vergleich, weil sie Bewertung und Wachstum in eine Relation setzt. Trotzdem bleibt Interpretation nötig:
20 % Wachstum in Software ist fundamental anders als 20 % in Konsumgütern. Kapitalintensität, Margen und Skalierbarkeit beeinflussen, wie nachhaltig Wachstum wirklich ist. Gleiche PEGs sind also rechnerisch vergleichbar, ökonomisch aber nicht gleichwertig.
Richtig eingesetzt, ergänzt die PEG-Ratio die Rule of 40 perfekt. Während die Rule of 40 zeigt, wie gut ein Unternehmen arbeitet, zeigt die PEG, was der Markt dafür verlangt. Zusammen ergeben sie ein vollständiges Bild – Qualität trifft Bewertung.
PEG ist kein Instrument für schnelle Urteile, sondern ein Mittel zur Disziplin. Sie hilft, euphorische Phasen zu erden und Bewertungsblasen früh zu erkennen. Sie ist damit weniger Kennzahl als Kompass – ein Wegweiser zwischen Preis, Wachstum und Realität.
Was meint ihr?
– Welche eurer Wachstumsaktien bleiben auch bei PEG > 1 vertretbar – und warum?
– Gibt es Werte, die günstig aussehen, aber seit Jahren stagnieren?
– Wie stark achtet ihr bei euren Investments auf das Verhältnis von Preis zu Wachstum – mehr als auf das reine KGV?
– Und wo zieht ihr persönlich die Grenze zwischen „bezahlen für Qualität“ und „bezahlen für Hoffnung“?
