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Das von mir vor einigen Tagen vorgestellte 10B-Modell sucht kleine, wachstumsstarke Unternehmen mit dem Potenzial, sich langfristig zu verzehnfachen. Der Hidden Quality Radar (HQR) verfolgt einen anderen, komplementären Ansatz. Während das 10B-Modell auf frühe, dynamische Skalierungsphasen abzielt, konzentriert sich der HQR auf Unternehmen mit bewährter operativer Stärke, hoher Kapitalrendite und stabiler Bilanz, die vom Markt bislang unterschätzt oder übersehen werden. Ziel ist es, Qualität zu identifizieren, bevor sie im Kurs reflektiert ist – also jene Firmen, die nicht laut auftreten, sondern konstant Wert schaffen. Der HQR steht damit für eine investive Bodenhaftung: weniger Momentum, mehr Substanz.
Das Bewertungsmodell umfasst erneut fünf Dimensionen mit insgesamt 100 Punkten:
1. Profitabilität & Kapitalrendite (0–20 Punkte) – operative Marge, ROIC, Free-Cashflow-Quote
2. Bilanzqualität & Verschuldung (0–15 Punkte) – Eigenkapitalquote, Netto-Cash, Working-Capital-Effizienz
3. Wachstum & Resilienz (0–15 Punkte) – organisches Umsatzwachstum, Rule of 40, Zyklustoleranz
4. Management & Kapitalallokation (0–10 Punkte) – Investitionsdisziplin, Buybacks, Dividendenpolitik
5. Marktbeachtung & Bewertung (0–40 Punkte) – Analystencoverage, Handelsvolumen, institutioneller Besitz, Bewertungsmultiples im Peer-Vergleich
Je höher die operative Qualität und je geringer die Marktaufmerksamkeit, desto stärker das Signal. Das Modell kombiniert also Substanzanalyse mit Wahrnehmungslücke – und zeigt, wo Qualität vorhanden ist, aber vom Markt noch nicht bepreist wird. Analog zum 10B-Modell nutze ich ChatGPT zum Screening und zur ersten Analyse. Auf Basis fundamentaler Kennzahlen, Margenentwicklung und Bilanzstärke werden potenzielle Kandidaten identifiziert, die anschließend manuell tiefer analysiert werden – mit Fokus auf Geschäftsmodell, Kapitalallokation und strukturelle Wettbewerbsvorteile. Der Prozess ist damit datengetrieben, aber bewusst nicht automatisiert: Jede Aktie durchläuft eine qualitative Bewertung, bevor sie in das Modell aufgenommen wird.
Nachfolgend drei aktuelle Beispiele, die den Ansatz des HQR-Modells verdeutlichen.
$EKT (-8,55 %)
Energiekontor – 87 Punkte (im Portfolio)
Profitabilität & Kapitalrendite (19/20): Energiekontor erwirtschaftet eine zweistellige operative Marge und erzielt auf das eingesetzte Kapital Renditen über 15 %. Das integrierte Geschäftsmodell – von der Projektentwicklung bis zum Eigenbestand – sorgt für stabile Cashflows unabhängig von kurzfristigen Strompreisbewegungen. Der Kapitalumschlag ist effizient, die Kapitalrendite konstant hoch.
Bilanzqualität & Verschuldung (14/15): Die Bilanz ist konservativ strukturiert, mit hoher Eigenkapitalquote und überschaubarem Fremdkapitaleinsatz. Selbst bei steigenden Zinsen bleibt die Verschuldung tragfähig, und die Finanzierung neuer Projekte erfolgt in der Regel ohne Verwässerung für Aktionäre.
Wachstum & Resilienz (15/15): Das Unternehmen verfügt über eine solide Projektpipeline in Deutschland, Großbritannien und Portugal. Die Rule of 40 liegt regelmäßig über 40 %, was die Kombination aus Wachstum und Profitabilität unterstreicht. Das Geschäftsmodell ist weitgehend unabhängig von kurzfristigen Marktzyklen und zeigt, dass Stabilität und Expansion kein Widerspruch sein müssen.
Management & Kapitalallokation (9/10): Das Management verfolgt eine langfristige, wertorientierte Strategie mit konsequentem Fokus auf Eigenbestand und stetig steigender Dividende. Kapital wird nur dort eingesetzt, wo nachhaltige Rendite möglich ist – eine Seltenheit im Bereich der erneuerbaren Energien.
Marktbeachtung & Bewertung (30/40): Trotz überzeugender Fundamentaldaten ist die Aktie in internationalen Portfolios kaum vertreten. Die Analystenabdeckung bleibt gering, das Handelsvolumen moderat. Bewertungskennzahlen liegen weiterhin unterhalb vergleichbarer europäischer Entwickler. Energiekontor ist damit ein Paradebeispiel für einen qualitativ hochwertigen, aber unterschätzten Titel.
$RMD (-2,58 %)
ResMed – 82 Punkte (auf der Watchlist)
Profitabilität & Kapitalrendite (18/20): ResMed erzielt seit Jahren operative Margen über 25 % bei hoher Free-Cashflow-Conversion. Das Geschäftsmodell ist kapitalarm, die Skalierung hoch – eine Kombination, die langfristig überdurchschnittliche Kapitalrenditen ermöglicht.
Bilanzqualität & Verschuldung (13/15): Das Unternehmen verfügt über eine solide Bilanzstruktur, mit ausreichend Liquidität und einem moderaten Verschuldungsgrad. Das erlaubt hohe Investitionen in Forschung und Digitalisierung, ohne auf externe Mittel angewiesen zu sein.
Wachstum & Resilienz (14/15): Die Nachfrage im Bereich Schlafapnoe wächst strukturell, gleichzeitig baut ResMed seine Cloud- und Monitoring-Plattform systematisch aus. Das Umsatzwachstum bleibt stabil im hohen einstelligen Bereich, und die Rule of 40 liegt um 45 %. Temporäre Marktängste rund um GLP-1-Medikamente haben die Qualität des Geschäfts nicht verändert.
Management & Kapitalallokation (9/10): Die Führung agiert langfristig, fokussiert und mit klaren Prioritäten. Kapital wird effizient eingesetzt, Akquisitionen erfolgen gezielt und aus einer Position der Stärke heraus.
Marktbeachtung & Bewertung (28/40): Trotz globaler Marktführerschaft ist ResMed in vielen Portfolios unterrepräsentiert. Bewertungsmultiples liegen deutlich unter den großen US-Medtech-Titeln, obwohl Margen- und Cashflow-Qualität vergleichbar sind. Der Markt ignoriert derzeit die strukturelle Stärke – ein typischer HQR-Fall.
$KID (-4 %)
Kid ASA – 80 Punkte (auf der Watchlist)
Profitabilität & Kapitalrendite (17/20): Kid ASA ist der führende Anbieter von Wohntextilien, Inneneinrichtung und Haushaltswaren in Skandinavien. Das Unternehmen erzielt stabile operative Margen zwischen 13 % und 15 % und weist eine Free-Cashflow-Quote von über 80 % auf. Die Eigenmarkenquote ist hoch, was Preissetzungsmacht und stabile Bruttomargen sichert.
Bilanzqualität & Verschuldung (13/15): Die Bilanz ist solide, der Verschuldungsgrad moderat, die Eigenkapitalquote komfortabel. Durch den hohen Cashflow werden Investitionen und Dividenden vollständig aus laufenden Mitteln finanziert.
Wachstum & Resilienz (13/15): Kid wächst stetig, getrieben durch Filialexpansion, E-Commerce und Marktanteilsgewinne im Premiumsegment. Auch in schwächeren Konsumphasen bleibt das Unternehmen profitabel – ein Beleg für die Preissetzungsmacht und Loyalität seiner Kundschaft. Die Rule of 40 liegt regelmäßig über 40 %.
Management & Kapitalallokation (9/10): Das Management agiert langfristig und diszipliniert, kombiniert Wachstum mit kontinuierlicher Dividendensteigerung. Die Kapitalallokation ist konservativ, gleichzeitig wachstumsorientiert – ein Gleichgewicht, das die Stabilität des Geschäftsmodells stärkt.
Marktbeachtung & Bewertung (28/40): Trotz starker Marktstellung wird Kid außerhalb Skandinaviens kaum wahrgenommen. Die Analystenabdeckung ist begrenzt, institutioneller Besitz niedrig. Das Bewertungsniveau liegt unterhalb internationaler Einzelhandelswerte vergleichbarer Qualität. Kid erfüllt damit alle HQR-Kriterien: hohe operative Stärke, verlässlicher Cashflow, niedrige Sichtbarkeit.
Das 10B-Modell sucht Dynamik, der HQR Substanz. Während das eine auf frühe Wachstumsphasen mit höherem Risiko setzt, konzentriert sich das andere auf beständige Wertschöpfung und Kapitaldisziplin. Beide Modelle ergänzen sich: Das 10B-Modell liefert die Beschleuniger, der HQR die Fundamentträger. Gerade in einem Umfeld, in dem Marktstimmung und Narrative in immer kürzeren Zyklen wechseln, ist es entscheidend, beides zu verstehen – wann Risiko belohnt wird und wann Beständigkeit den Ertrag bringt.
Welche Strategie überzeugt euch langfristig mehr – Wachstum durch Skalierung oder Rendite durch Qualität? Und welche Unternehmen würdet ihr aktuell selbst auf den Radar des HQR setzen?