Schwank aus der Jugend 👨🏻🔧🏭
Da ich heute einmal Zeit hatte und die Gelegenheit genutzt habe meine Reliquien vergangener Tage zu verstauen, habe ich die Andenken meines Berufseinstiegs wiedergefunden. Sowohl den Anstecker, als auch die Mitgliedskarte der IGBCE.
Für diejenigen, die damit nicht vertraut sind: Die Industriegewerkschaft – Bergbau, Chemie, Energie ist neben der IG Metall die zweitgrößte Industriegewerkschaft Deutschlands. Sie vertritt die Arbeitnehmerinteressen der 580.000 Mitglieder des Bergbaus, sowie der Chemie- und Energiebranche in Deutschland.
Daraufhin mag es für einige Leser hier interessant sein, welche Auswirkungen die derzeitigen Tarifverhandlungen in der chemischen Industrie auf dt. Aktien in dem Bereich sein können.
In der chemischen Industrie sind derzeit etwa 585.000 Menschen beschäftigt. Davon ca. 464.000 Mitarbeiter, die als „Arbeitnehmer“ gelten.
Größter Arbeitgeber der Branche in Deutschland ist BASF $BAS (-0,12 %) mit knapp 51.000 Mitarbeitern. Dahinter Merck $MRK (-0,22 %) (ca. 28.000) und Bayer $BAYN (+0,17 %) (ca. 22.000), aber auch Henkel $HEN (+0,54 %) , Lanxess $LXS (-0,26 %) und Covestro $1COV (-0,02 %) sind bedeutende börsennotierte Arbeitgeber der Branche in Deutschland.
Was ist zu erkennen?
Durch die Branche hinweg sind alle Unternehmen tief von den vergangenen Preisschocks und der damit einhergehenden Konjunkturschwäche geprägt. An den Aktienkursen in dies deutlich zu erkennen, aufgrund der Preissprünge bei Strom und Gas. Obgleich die Preise für Strom und Gas wieder auf ein annehmbares Niveau gesunken sind, ist die Auftragslage eher kläglich. Eine Besserung verspricht das 3. Quartal 2024.
Doch könnte ein Konjunkturaufschwung auch die Gewinne wieder sprießen lassen?
In der Industrie ist es so, dass man langfristige Lieferverträge schließt. Lieferverträge mit zuverlässigen Partnern werden selten gekündigt. Lieber werden hierfür höhere Preise an den Endkunden weitergegeben. Vielerorts sind dennoch die Abnehmer nicht mehr bereit dafür tiefer in die Tasche zu greifen, weswegen es teuer ist Kunden zu halten oder Neukunden zu akquirieren. Und wenn doch? Dann werden Neukunden durch kostengünstige Angebote gelockt, obgleich man hierfür Jahre zuzahlen muss als Produzent. Wichtig ist hierbei, dass die Produktionsanlagekosten niedriger bleiben, als der Verlust durch Neuverträge. Je nach Größe einer stillstehenden Produktionsanlage gehen die Kosten pro Stunde hierbei in den vier- bis fünftstelligen Eurobereich. Also: Hauptsache produzieren, ganz gleich, ob man monatelang für einen Liefervertrag hunderte Euro draufzahlt. Die Verluste kann man in der Bilanz ja wiederum mit profitableren Geschäften ausgleichen oder, unter bestimmten Bedingungen, Abschreiben und somit Steuern sparen. (Bitte beachtet, dass das individuell vom Unternehmen und der Geschäftsstrategie zusammenhängt. Das kann man keinesfalls pauschalisieren!)
Zurück zum Thema. Was fordert die Gewerkschaft für die Beschäftigten?
Es geht explizit um:
- ein Lohnplus von 7%
- Besserstellung für Mitglieder der Gewerkschaft gegenüber Nicht-Mitgliedern
- Überarbeitung des Bundesentgeltrahmentarifvertrages (Dabei geht es explizit um die Eingliederung bestimmter Tätigkeiten in die Entgeltgruppen des Tarifvertrages)
Angesichts dessen, dass die Gewerkschaft argumentiert, dass die Reallöhne der Beschäftigten aufgrund der Inflation auf das Niveau der 2010er-Jahre zurückgefallen sei/ist und keine der beiden Seiten sich hierfür kompromissbereit zeigt, scheint die Streikgefahr in der Branche erstmals seit den 1970er Jahren wieder realistisch zu werden.
Aber warum?
- Die Umsätze der chemisch-pharmazeutischen Industrie schwächeln. Es gab kein nennenswertes Umsatzplus von 2022 zu 2023.
- Der Gewinn einiger Unternehmen ist fast gänzlich zusammengebrochen.
- Ohne staatliche Hilfe hätte man die Jahre nicht überstanden. In den Berichten einiger deutscher Werte sind Rekordumsätze durch die staatlichen Preisbremsen bei Strom und Gas zu verbuchen. Das Management hat das den Anlegern ebenso vermittelt, sodass die Aktienkurse entsprechend eingebrochen sind.
- Die Absatzmärkte schwächeln. Die hohe Inflation im Euro- und Dollarraum hat ihre Spuren hinterlassen. Die Reallöhne sind erst gegen Ende 2023 wieder auf das Niveau von 2021 geklettert. Die Differenz des Jahres 2022 musste man aus dem eigenen Geldbeutel zahlen, obgleich auch hier der Staat die Inflationsausgleichsprämie bezuschusste. Natürlich waren insbesondere viele kleine und mittelständische Unternehmen nicht in der Lage diese Kosten der Mitarbeiter zu tragen.
Wie könnte es weiter gehen? (3 Szenarien)
- Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften handeln ein, für beide Seiten, annehmbares Lohnplus aus. Der Tariffrieden wird gewahrt. Die Unternehmen können ohne weiteren Kostendruck die aufschwingende Konjunktur kalkulieren. (Das wäre auch für die Aktienkurse der chemischen Industrie ein bullisches Signal.)
- Die Arbeitgeber gehen kompromisslos auf die Forderungen der Gewerkschaft ein. Der Kostendruck nimmt zu, was den Geschäftsindex der chemischen Industrie weiter eintrüben dürfte, aber die Gefahr von Streiks kann ausgemerzt werden. (Das würde zu weiteren Kapitalabflüssen der Unternehmenswerte führen. Man kann aber als Anleger hierbei auf Verkäufe/Eingliederungen spekulieren. Das Szenario ist denkbar, wie Covestro zeigt.)
- Die Arbeitgeber und Gewerkschaft können sich nicht einigen. Es finden erstmals seit den 1970er Jahren wieder Streiks in der chemischen Industrie in Deutschland statt. Das könnte die Arbeitnehmer und deren Einfluss stärken. Zugleich aber einen weiteren Grund für die Arbeitgeber liefern, sich auf ihre Investitionen im Ausland zu fokussieren. (Das wäre fatal für die dt. Hersteller, deren Aktienkurse und zugleich ein Niedergangimpuls für eine Schlüsselindustrie der deutschen Wirtschaft.
In Summe bleibt es spannend in der deutschen Industrielandschaft und bietet zugleich Chancen für Anleger. Wenn man hierbei investiert ist, empfiehlt es sich aber außerordentlich die Tarifverhandlungen mitzuverfolgen. Am 30. Juni endet der gültige Tarifvertrag der chemischen Industrie und mit ihr auch die Friedenspflicht. Es bleibt spannend.
Was denkt ihr? Wäre es wirklich denkbar, dass es Streiks in einer deutschen Schlüsselindustrie geben wird? Würden sich hierbei aktiv Politiker einschalten und damit die Tarifautonomie stören?