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ROCE - eine unterschätzte Kennzahl


Fundamentale Aktienanalyse benutzt eine Vielzahl von Kennzahlen: Umsatzwachstum, Gewinn pro Aktie, Nettoverschuldung, KGV, KUV, Free Cashflow usw. Die Anzahl der aus einer Bilanz ableitbaren Kennzahlen ist riesig. 


Ich möchte nun näher auf eine meiner Meinung nach unterschätzte Kennzahl eingehen: das ROCE. Dabei steht "ROCE" für return on capital employed. Ganz grob gesagt misst das ROCE wie effizient und rentabel mit dem eingesetzten Kapital umgegangen wird. Oftmals wird zumindest im deutschsprachigen Raum auf die Angabe des ROCE verzichtet, was ich persönlich als sehr schade empfinde. Natürlich kann man das ROCE selbst anhand der Bilanz des Unternehmens ausrechnen. Definiert wird das ROCE folgendermaßen:



ROCE = EBIT / (capital employed).


Hierbei handelt es sich beim EBIT (earnings before interest and taxes) um den operativen Gewinn und das capital employed beschreibt vereinfach ausgedrückt wieviel Kapital eingesetzt wurde um diesen Gewinn zu erzielen. Dabei gibt es viele unterschiedliche Definition was als capital employed angesehen wird; gängig ist aber zum Beispiel (nach [2])



capital employed = total assets - current liabilities.


Total assets bezeichnet dabei das Aktiva des Unternehmens (aus der Bilanz) und die current liabilities sind die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens. Dabei ist es wichtig, dass die Kennzahlen EBIT, total assets und current liabilities alle im selben Zeitraum betrachtet werden: quartalsweise, jährlich oder geschäftsjährlich. Es bring also nichts das EBIT des Geschäftsjahres mit dem capital employed des letzten Quartals zu verrechnen. 


Das Ganze soll jetzt aber nicht in einen Artikel über verschiedene Kennzahlen der Buchhaltung abdriften (sorry @TheAccountant89), sondern lediglich ein Gefühl dafür geben was beim ROCE ins Verhältnis gesetzt wird. 



1. Interpretation ROCE


Das ROCE misst die Effizienz des eingesetzten Kapitals. Salopp gesagt gilt beim ROCE: je höher desto besser. Angegeben wird das ROCE meist in Prozent. Ein ROCE von 0,3 also 30% wird so interpretiert, dass sich 30% des zur Erzielung des operativen Gewinns eingesetzten Kapitals am Ende auch als operativer Gewinn in der Bilanz niederschlägt. Für 100$ eingesetztes Kapital gibt es am Ende also 30$ operativen Gewinn in der Bilanz. Erhöht sich das ROCE nun auf 40%, so bleiben von 100$ eingesetzten Kapital 40$ übrig und spätestens jetzt ist klar warum das ROCE eine Maßzahl für die Effizienz eines Unternehmens dient. 


Ist das nun der heilige Gral zur Bewertung eines Unternehmens? Selbstverständlich nein. Die Limitierungen des ROCE erkennt man allein schon daran, dass zur Berechnung zunächst nur 3 Kenngrößen aus der Bilanz eines Unternehmens eingehen. Komplett außer Acht gelassen wird dabei zum Beispiel: Umsatzwachstum, Gewinnwachstum, Langzeitverbindlichkeiten, usw. Trotzdem gibt es einige valide Argumente für das ROCE um es in die Bewertung eines Unternehmens einfließen zu lassen:


1.) Der Vergleich des ROCE kann bei Unternehmen aus gleichem/ähnlichen Sektor Sinn machen. Beispiel: Vergleich des ROCE von Microsoft und Adobe.


2.) Beobachten der Entwicklung des ROCE über die Zeit um eventuelle Effizienzsteigerungen bzw. -verschlechterungen zu entdecken. Zum Beispiel: Entwicklung des ROCE von Home Depot der letzten 10 Jahre.  


3.) Finden profitabler Geschäftsmodelle im Allgemeinen. Zum Beispiel: ROCE Volkswagen ca. 6%, Adobe ca. 30%. 


Dabei sollte man aber immer im Auge behalten was genau verglichen wird und sich immer daran erinnern, dass das ROCE nicht als alleiniger Bewertungsmaßstab der Profitabilität eines Geschäftsmodells dienen kann. Wie bei fast allen Kennzahlen entfaltet das ROCE erst seine volle Mächtigkeit, wenn es mit anderen aussagekräftigen Kennzahlen verknüpft wird und über einen längeren Zeitraum betrachtet wird. 



2. Kombination mit anderen Kennzahlen


Kombination mit Umsatzwachstum

Ein hohes und über die Zeit konstantes/stabiles ROCE zusammen mit guten Umsatzwachstum spiegeln gleichbleibende Effizienz bei steigenden Verkäufen wider. Demzufolge wächst das Unternehmen bei gleicher Effizienz; die Gewinne werden absolut gesehen größer. 


Eine schlechte Entwicklung des Unternehmens könnte sich zum Beispiel bei steigenden Umsätzen und gleichzeitig sinkenden ROCE andeuten. Das Unternehmen wächst dann zwar in Umsätzen (eventuell auch noch im operativen Gewinn) aber zu Lasten der Kapitaleffizienz. Das könnte bei zukünftigem Abnehmen des Umsatzwachstums zu Problemen führen. 


Kombination mit langfristigen Verbindlichkeiten

In die Berechnung des ROCE gehen nur die kurzfristigen Verbindlichkeiten (current liabilities) des Unternehmens ein. Als kurzfristig ist der jeweilige Bilanzierungszeitraum anzusehen. Rechnen wir also beispielsweise das ROCE auf Basis des Geschäftsjahres aus, so gehen in die Berechnung nur jene Verbindlichkeiten des Unternehmens ein, welche binnen des selben Geschäftsjahres zu leisten waren. Zahlungen von Schulden, die in den kommenden Jahren zu leisten sind finden keine Berücksichtigung. Deswegen empfiehlt es sich immer auch auf die Netto-Verschuldung des Unternehmens zu achten. Niedrige Verschuldung und ein hohes ROCE ist hier die gewünschte Kombination. 


Kombination mit Free Cashflow

Da nur das EBIT in die Berechnung des ROCE eingeht kann man hier aufgrund der Bilanzierungsstandards etwas auf legale Art und Weise tricksen und financial engineering in der betreiben. Oftmals weisen Unternehmen Gewinne aus, sind aber trotzdem Free Cashflow negativ. Die ideale Kombination ist also ein hohes ROCE mit einem steigenden positiven Free Cashflow. 



3. Grau ist alle Theorie: zwei Beispiele


Wie bereits in der Einführung erwähnt wird das ROCE selten angegeben. Deshalb bleibt manchmal nichts anderes übrig als selbst zu rechnen. Ein Beispiel, wie man anhand der Bilanzen eines Unternehmens das ROCE selbst berechnen kann findet sich zum Beispiel in [3] unter dem Abschnitt "Nestle Return on Capital Employed"


Wir werden nun so vorgehen, dass zwei Beispielunternehmen aus dem gleichen Sektor vorgestellt werden. Ich werde nicht verraten um welche Unternehmen es sich handelt, damit ihr objektiv auf die Zahlen schauen könnt. Alle Zahlen stammen von [4]: 


Stock A (alle Werte in Mio USD): 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021

Umsätze: 141.576 | 152.703 | 166.761 | 195.929 | 226.954

Operating profit (EBIT): 4.480 | 4.737 | 5.435 | 7.223 | 7.793 

Total current liabilities: 19.926 | 23.237 | 24.844 | 29.441 | 31.998

Total liabilities and equity (total assets): 40.830 | 45.400 | 55.556 | 59.268 | 64.166

Total liabilities: 27.727 | 29.816 | 36.851 | 41.190 | 43.519 


Stock B (alle Werte in Mio. USD): 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021

Umsätze: 123.280 | 121.852 | 122.286 | 132.498| 137.888

Operating profit (EBIT): 2.450 | 2.677 | 2.672 | 3.179 | 3.709

Total current liabilities: 14.197 | 14.274 | 14.243 | 15.366 | 16.323

Total liabilities and equity (total assets): 37.197 | 38.118 | 45.256 | 48.662 | 49.086

Total liabilities: 30.292 | 30.283 | 36.683 | 39.112 | 39.657


Bitte erstmal nicht von den ganzen Zahlen erschlagen lassen. Schaut euch die Zahlen an. Wie entwickeln sich die Zahlen? Welches Unternehmen findet ihr nur anhand der Zahlen attraktiver und warum?


Wir berechnen jetzt aus diesen Zahlen ROCE, Umsatzwachstum, EBIT-Wachstum, die EBIT-Marge und das Verhältnis aus Schulden zu Umsatz (total liabilities / Umsatz). Dabei ist wie weiter oben definiert:


ROCE = EBIT / (total assets - total current liabilities).


Eine kurze Beispielrechnung: um das ROCE von Stock A im Jahr 2017 zu berechnen, rechnen wir also 4.480 / (40.830 - 19.926) = 0,214 = 21,4%. Die restlichen Berechnungen können zum Beispiel in einer Tabellenkalkulation unserer Wahl erfolgen. Das Ergebnis sieht dann wie folgt aus:


Stock A: 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021 | Mittelwert*

ROCE: 21,4 % | 21,4% | 17,7% | 24,2% | 24,2% | MW: 21,8%

Umsatzwachstum: -- | 7,9% | 9,2% | 17,5% | 15,8% | MW: 9,9%*

EBIT-Wachstum: -- | 5,7% | 14,7% | 32,9% | 7,9% | MW: 11,7%*

EBIT-Marge: 3,2% | 3,1% | 3,3% | 3,7% | 3,4% | MW: 3,3%

Schulden/Umsatz: 19,6% | 19,5% | 22,1% | 21,0% | 19,2% | MW: 20,5% 


Stock B: 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | 2021| Mittelwert*

ROCE: 10,7% | 11,2% | 8,6% | 9,5% | 11,3% | MW: 10,3%

Umsatzwachstum: -- | -1,2% | 0,4% | 8,4% | 4,1% | MW: 2,8%*

EBIT-Wachstum: -- | 9,3% | -0,2% | 19,0% | 16,7% | MW: 10,9%*

EBIT-Marge: 2,0% | 2,2% | 2,2% | 2,4% | 2,7% | MW: 2,3%

Schulden/Umsatz: 24,6% | 24,9% | 30,0% | 29,5% | 28,8% | MW: 27,5% 


Lasst das Ergebnis auf euch wirken. Welches Unternehmen würdet ihr nur anhand dieser Zahlen bevorzugen? (*=Mittelwerte in diesem Fall CAGR)


Das ROCE von A ist im Mittel der letzten 5 Jahre bei 21,8% und ist bis auf den Ausreißer im Jahre 2019 sehr stabil. Das ROCE von B ist im Mittel bei 10,3% schwankt aber etwas stärker um den Mittelwert. Die erste Beobachtung ist, dass A gemessen an dem ROCE effizienter als B ist. Bei A bleiben von 100$ captial employed also etwa 21,80$ als Gewinn übrig, während bei B nur 10,30$ übrig bleiben. Beide Unternehmen sind zudem im selben Sektor tätig, so dass das ROCE vergleichbar sein sollte. Die höhere Effizienz von A ist zunächst einmal eine schöne Beobachtung, bedeutet aber ohne die anderen Kennzahlen noch nicht so viel. 


Auch beim Umsatzwachstum hat A die Nase vorn. Der kräftige Boost in den Jahren 2020 und 2021 bei gleichzeitig steigendem ROCE deutet auf ein funktionierendes Geschäftsmodell hin, denn die Umsätze steigen und das bei besserer Kapitaleffizienz. Bei B ist der Umsatz vor allem in den Jahren 2020 und 2021 gewachsen und stagnierte in den restlichen Jahren. Das ROCE ist in diesen Jahren ebenfalls mitgewachsen. 


Bei beiden Unternehmen steigt das EBIT im Mittel über die vergangen Jahre um etwa 11%. B hatte 2018 aber ein Jahr mit negativem EBIT-Wachstum. Die EBIT-Marge ist bei beiden vergleichsweise gering, aber auch hier hat A die Nase leicht vorn. Ein Blick auf die Schuldenquote zeigt zudem, dass A eine über die Jahre sehr stabile Verschuldungsquote von etwa 20% hat. Bei B ist die Verschuldungsquote im Jahr 2019 um etwa 5% auf 30% gewachsen und konnte seitdem etwas abgebaut werden. 


In der Gesamtbewertung würde ich mich eindeutig für Unternehmen A entscheiden. Das höhere und vor allem stabilere ROCE, gepaart mit guten Umsatzwachstum, der höheren EBIT-Marge und der niedrigeren Schuldenquote lässt für mich keine andere Option zu. Das ROCE dient mir hier in diesem Fall als Indikator dafür, dass das Geschäftsmodell von A deutlich effizienter ist als B, auch wenn sich die EBIT-Margen nicht so deutlich unterscheiden mögen. 


Könnt ihr erraten um welche Unternehmen es sich handelt? Gebt eure Tipps gerne in den Kommentaren ab.



Quellen:

[1] Wertorientierte Steuerung von Unternehmen und Konzernen mittels Kennzahlen: https://www.uibk.ac.at/psychologie/mitarbeiter/leidlmair/haeseler_hoermann_3.indd.pdf

[2] Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Return_on_capital_employed

[3] Wallstreetmojo: https://www.wallstreetmojo.com/return-on-capital-employed-roce/#h-roce-formula

[4] Seeking Alpha: https://seekingalpha.com/

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18 Kommentare

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@ccf da werden Erinnerungen vom Studium wieder wach 😅
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@ccf geiler Beitrag, wieder Dinge dazugelernt
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Toller Beitrag!!! Vielen Dank!
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Bookmark und @ccf !!
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Gerade über das ROCE detaillierter eingelesen und an deinen Beitrag erinnert 🚀
Welche Unternehmen waren es denn? Gabs mal eine Auflösung? 😅
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Wie wärs wenn du endlich auflöst welche Unternehmen das waren?
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Finde ROIC besser..
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Gelöschter Nutzer
1J.
Kommentar wurde gelöscht
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