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Von Burggräben, Compoundern und Geschäftsmodellen (Teil 2)


Hallo zusammen,

Danke für die unfassbar positive Resonanz auf meinen letzten Beitrag und Teil 1 meiner Aktienauswahl. Ich wollte euch nicht zu lange auf die Folter spannen und habe endlich ein paar Stunden Zeit gefunden für Teil 2, in welchem ich euch weitere Einblicke in meine Unternehmensauswahl geben möchte. Enjoy!


Ich empfehle jedem der den letzten Beitrag noch nicht gesehen hat sich zuerst diesen durchzulesen (https://getqu.in/aX61yv/), da die Beiträge aufeinander aufbauen!


Disclaimer: Hierbei handelt es sich um meine persönliche Anlagestrategie zu meinem eigenen Anlagehorizont. Diese Strategie ist nicht in Stein gemeißelt und kann sich jederzeit anpassen. Ich hoffe ihr könnt hieraus etwas Nützliches für eure eigene Strategie mitnehmen, ich empfehle aber niemandem eine Kopie jeglicher Inhalte ohne eigene Recherche. ⚠️


Ich freue mich sehr über euer Feedback, lehnt euch zurück, der Beitrag ist wieder etwas länger geworden. 😜


Zunächst noch einmal der Überblick:


Phase #1 (Teil 1 – letzter Beitrag: „Alle Kennzahlen meiner Aktienbewertung“) ✅


Heute werde ich euch Phase #2 und Phase #3 vorstellen, wo es im Gegensatz zum Überblick in Teil 1 ein paar kleinere Änderungen (🆕) gegeben hat, die ich euch im Nachhinein erklären werde – wie im Disclaimer erwähnt, nichts ist in Stein gemeißelt. 😉


Phase #2 (Teil 2 – dieser Beitrag)

  • Burggraben + ESG
  • Morningstar MOAT Rating
  • Morningstar ESG Risk
  • Compounder? (entfernt Profitability Rank, Mohanram G-Score)
  • Financial Strength Rating 🆕
  • FCF / Share 10Y CAGR 🆕
  • Gross Margin 5Y CAGR 🆕
  • Predictability Rank 🆕

Phase #3 (Teil 2 – dieser Beitrag)

  • Geschäftsmodell verstehen
  • Vergleich mit der Konkurrenz

--> Was hiernach übrig bleibt: Aufnahme in mein „Investable Universe“


Phase #4 – Mein Bewertungs-Modell (Teil 3 - Beitrag gewünscht?)

·       FCF Yield

·       Valuation Framework

·       Vergleich 5Y FCF CAGR mit benötigtem Future 5Y FCF CAGR zur Erreichung des Markt-KGV

·       GF Fair Value

·       Morningstar Fair Value


Ergebnis von Teil #1:

Zum Abschluss von Phase #1 habe ich einen ersten Score erhalten, der aus der Summe der erreichten Punkte besteht und maximal 35 erreichen kann. Die Punkte aus „Marge“ und „Profitabilität / Effizienz“ werden noch zu einer „Quality“ Punktzahl summiert.

Phase #2 erreichen all jene Aktien, dessen Phase 1 Score >= 18 ist, dessen Quality Punktzahl mindestens bei 13 liegt und deren Growth Punktzahl mindestens bei 2 liegt (kein negatives Wachstum).

Hierdurch wurden schon einige Unternehmen in Phase 1 aussortiert, nur jedes vierte bisher von mir in Phase 1 betrachtete schaffte es in Phase 2. Dem ein oder anderen dürfte auffallen, dass es ganze Sektoren höchstwahrscheinlich nicht in Teil 2 schaffen. Und das ist gewollt. Es gibt Sektoren die den Markt historisch outperformen (Software, Consumer, Healthcare) und Sektoren, die durchweg underperformen und nicht in mein Depot sollen (Banks, Energy, Versicherungen, Mining, Airlines, Utilities…).


Beginnen wir also mit Phase #2.

Hierbei liegt mein erster Augenmerk auf dem für mich essenziell wichtigen MOAT-Rating. Hierfür nutze ich das Morningstar MOAT-Rating.

Ein „Economic Moat“ oder zu Deutsch Wettbewerbsvorteil weist darauf hin, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Unternehmen die Konkurrenz über einen längeren Zeitraum in Schach hält. Unternehmen mit Wettbewerbsvorteil sind gegenüber ihren Konkurrenten in der Lage immer einen Schritt voraus zu sein. Hierbei unterscheidet Morningstar zwischen einem weiten (Wide), und einem schmalen (Narrow) Burggraben (Moat). Es gibt fünf Faktoren die Unternehmen wirtschaftliche Vorteile verschaffen. 🏰


Ein Network effect (Netzwerkeffekt) besteht, wenn der Wert einer Dienstleistung für neue und bestehende Nutzer steigt, wenn mehr Menschen die Dienstleistung nutzen. Beispiel: Visa/Mastercard – je mehr Verbraucher diese verwenden, desto attraktiver wird das Zahlungsnetzwerk für Händler, was es wiederum für Verbraucher attraktiver macht (Kreislauf). 🕸

Der nächste Wettbewerbsvorteil liegt in Intangible assets (Immaterialle Vermögenswerten). Hierzu zählen Patente oder behördliche Lizenzen, welche insbesondere bei Pharma-Unternehmen oft für einen Wettbewerbsvorteil sorgen. Darüber hinaus sind Marken ein weiterer wichtiger Aspekt, der es einem Unternehmen ermöglicht höhere Preise zu verlangen und den Markteintritt für Konkurrenten erschwert (Beispiel LVMH). ™

Der dritte mögliche Wettbewerbsvorteil liegt in einem simplen Cost advantage (Kostenvorteil). Unternehmen mit einem strukturellen Kostenvorteil können ihre Konkurrenten entweder preislich unterbieten und dabei ähnliche Margen erzielen, oder sie können marktübliche Preise verlangen und dabei relativ hohe Margen erzielen. 💸

Switching Costs (Umstellungskosten) sind der nächste offensichtliche Wettbewerbsvorteil Wenn es zu teuer oder mühsam ist auf ein Konkurrenzprodukt zu wechseln deutet das auf Preismacht hin. Beispiel hierfür ist beispielsweise die Software von Nemetschek oder im aktuellen Trend das Battle der Cloud Giganten. 💱

Der letzte mögliche Wettbewerbsvorteil liegt in Efficient scale (Effizienter Skalierung). Wenn ein Nischenmarkt effektiv von einem oder wenigen Unternehmen bedient wird (Beispiel Railroads) ist der Bau derselben Strecke durch einen Konkurrenten zu teuer und nicht rentabel. 🤏🏻


Diese Wettbewerbsvorteile lassen sich einfach selbst erkennen, ein kostenpflichtiges Abonnement von Morningstar Investor, um deren Einschätzung zu erlangen ist absolut nicht nötig, vereinfacht das ganze nur ein wenig. Ein guter Indikator für einen Wettbewerbsvorteil ist ebenso das bereits behandelte ROIC. ⚠️


Warum also sind Wettbewerbsvorteile so wichtig? Jedem dürfte bekannt sein, dass auch das Orakel von Omaha, Warren Buffet, seit Jahrzehnten auf Wettbewerbsvorteile baut. „"What we're trying to do," he said, answering a question from the audience, "is we're trying to find a business with a wide and long-lasting moat around it, surround -- protecting a terrific economic castle with an honest lord in charge of the castle."

Und auch in den reinen Zahlen lässt sich der Vorteil von einem MOAT erkennen – und dieser ist gewaltig. Die mittlere annualisierte 10-Jahres-Gesamtrendite von Wide-Moat Unternehmen (11% p.a.) und Narrow-Moat Unternehmen (9% p.a.) schlägt No-Moat Unternehmen (2,9% p.a.) bei WEITEM.


Bei einigen Unternehmen gibt Morningstar noch einen Trend an und unterscheidet hierbei zwischen Positive, Stable und Negative.

Dementsprechend vergebe ich Punkte. Ein Wide&Positive MOAT gibt 5 Punkte, Wide&Stable 4,5 Punkte, Narrow&Positive 3,5 Punkte, Narrow&Stable 3 Punkte. Ein Negativer Trend gibt bei einem Wide-Moat einen Punkt Abzug, bei einem Narrow Moat 2 Punkte Abzug, dasselbe bei keinem Wettbewerbsvorteil.

Der Einfluss des MOATs ist in meinem Modell somit sehr groß – und als kleiner Spoiler: In meinem Investable Universe findet sich kein Unternehmen mit negativem Trend und mit Clinuvel Pharmaceuticals nur ein Unternehmen welches laut Morningstar keinen Wettbewerbsvorteil hat, was ich jedoch anders sehe.


Der nächste Punkt, den ich betrachte, ist das ESG-Risiko, um ein wenig den Umweltaspekt einzubinden, der meiner Meinung nach in der Zukunft immer wichtiger wird. Hiermit möchte ich einfach Unternehmen mit zu hohem Risiko aussortieren. Morningstar vergibt hierzu 1 bis 5 „Globes“ (Punkte). Wobei 5 das geringste Risiko (negligible = vernachlässigbar), und 1 Globe ein schwerwiegendes (severe) Risiko darstellt. Hier verteile ich die Punkte folgenderweise: 5 Globes (negligible) = 3 Punkte, 4 Globes (low) = 2 Punkte, 3 Globes (medium) = 0,5 Punkte, 2 Globes (high) = -3 Punkte, 1 Globe (severe) = -5 Punkte. (Quelle Morningstar Investor). 🌳


Teil 1 von Phase #2 haben wir somit abgehakt. Kommen wir nun zum zweiten Teil, in dem es um die letzten Kennzahlen meines Modells geht und dem „Compounding“.

Compounding ist ein Begriff der vor allem von Joseph Carlson und anderen Super Investoren, die ich verfolge, gerne verwendet wird und ist schlichtweg eine Art Zusammenfassung der Gesamtstrategie. Compounding beschreibt das Reinvestieren von Erträgen, um im Laufe der Zeit zusätzliche Gewinne zu erzielen – also nichts anderes als den Zinseszinseffekt, den wir alle verfolgen auf ein Unternehmen reduziert. Compounder sind Unternehmen mit hohen Kapitalrenditen, dauerhaft wachsenden Erträgen und Wettbewerbsvorteilen, die einen langfristigen Wertzuwachs garantieren – genau diese Unternehmen filtere ich in meinem Modell heraus.


In diesem zweiten Teil von Phase #2 habe ich mir noch einige zusammenfassende Indikatoren herausgesucht, die mehrere Faktoren berücksichtigen und eine Art „Compounder Check“ ergeben – der nur erfüllt ist, wenn alle Indikatoren passen (keine Punktzahlen – nur ja/nein). Für den Beitrag habe ich mir die verfügbaren Scores und Ranks von gurufocus noch einmal genauer angeschaut und mich entschieden diese etwas anzupassen. Der Profitability Rank wurde entfernt, weil er genau die Aspekte zusammenfasst, die ich eh schon behandelt habe und somit doppelt gemoppelt wäre, jediglich der Predictability Rank wäre neu gewesen, somit habe ich diesen als einzelnen Indikator herausgenommen. Der Mohanram G-Score macht mehr Sinn für hauptsächlich Growth-Unternehmen und wurde deshalb entfernt.


Als erster Indikator wird hier der Financial Strength Wert angeschaut, der auf drei Faktoren basiert: Interest Coverage (der Zinsdeckungsgrad) ist ein Verhältnis, das bestimmt, wie leicht ein Unternehmen Zinsaufwendungen für ausstehende Schulden bezahlen kann. Er wird berechnet, indem das Betriebsergebnis eines Unternehmens durch seine Zinsaufwendungen dividiert wird. Je höher, desto besser.

Der zweite Faktor Debt to revenue - Verhältnis von Schulden zu Einnahmen. Je niedriger, desto besser.

Und dem Altman Z-Score - einer genaue Vorhersage von Ausfällen bis zu zwei Jahre vor dem Notfall.

Basierend darauf berechnet Gurufocus ein Ergebnis von 1-10, für ein Unternehmen mit einem Rang 7 oder höher ist es sehr unwahrscheinlich, dass es in Notsituationen gerät. Unternehmen mit einem Rang von 3 oder weniger befinden sich wahrscheinlich in einer finanziellen Notlage. Der Financial Strength Rank wurde integriert da in Phase #1 nur die Debt-to-EBITDA Ratio die Schulden betrachtet hat, um hier etwas mehr Sicherheit zu bekommen. Für den Compounder Score werden Unternehmen mit einem Ergebnise >= 5 akzeptiert. (Link zum Financial Strength Rank: https://www.gurufocus.com/term/rank_balancesheet/ADBE/Financial-Strength/Adobe) 💪🏻


Das FCF/Share 10Y CAGR ist mMn die ultimative und wichtigste Wachstumskennzahl da sie im Gegensatz zum einfachen FCF-Wachstum auch Stock Based Compensation berücksichtigt. Hier möchte ich mindestens 5% haben für den Compounder Check. Ist das FCF/Share 10Y CAGR >10% gibt es nochmal einen Extra-Punkt im Gesamtscore.


Da durch das Score Schema in Part 1 auch Unternehmen mit einer Gross Margin <50% Part 2 erreichen können wurde das CAGR der Gross Margin auf 5 Jahresbasis integriert, um diejenigen Aktien herauszufiltern die ein Margenrückgang bei Gross Margin <50% haben. Heißt der Compounder Check ist erfüllt, wenn entweder die Gross Margin >50% ist oder falls sie geringer ist, die Marge in eine positive Richtung verläuft. Darüber hinaus wird noch einmal abgefangen falls ein Unternehmen ein ROCE <15% hat und das Wachstum der anderen Wachstumskennzahlen aus Teil 1 muss ebenfalls überall positiv sein.

Ist das der Fall ist der Compounder Check erfüllt.


Der Predictability Rank ist eine letzte „Kennzahl“ die gurufocus selbst entwickelt hat. Bei dieser bewerten sie die Vorhersehbarkeit der Unternehmen anhand der Konsistenz ihres Umsatzes pro Aktie und ihres EBITDA pro Aktie in den letzten zehn Geschäftsjahren und untersuchen die Korrelation zwischen der Aktienperformance und der Vorhersehbarkeit das Geschäft. Der Hintergedanke hierbei liegt darin die Aussage von Warren Buffet, dass er Unternehmen mit „vorhersehbaren und nachgewiesenen Erträge“ kaufen möchte, greifbarer zu machen. Hierfür werden Sterne von 1-5 vergeben, welche in meinem Modell zu dem Gesamtscore addiert werden. Für eine Predictability >3 Sterne einen extra-Punkt. (Link zum Predictability Rank: https://www.gurufocus.com/term/predictability_rank/ADBE/Predictability-Rank/Adobe)


DAS war´s mit Kennzahlen und Co. Phase #2 ist abgehakt.


Als Ergebnis aus Phase 1 und 2 haben wir nun einen Gesamtscore und einen Compounder Check (True/false). Alle Unternehmen mit einem Gesamtscore >= 30 und einem positiven Compounder Check kommen nun in die Auswahl für mein Investable Universe und erreichen Phase #3.


Phase #3 beschäftigt sich mit dem Teil, der von vielen in meinen Augen extrem vernachlässigt wird. Hierzu kann ich gar nicht so viel schreiben, da es hier keine Zahlen oder konkrete Vorgehen gibt, weshalb ich euch einfach ein paar Tipps an die Hand geben möchte. Die wichtigste Frage, die sich jeder stellen sollte, ist:


Verstehe ICH das Unternehmen und sein Geschäftsmodell?


Egal wie gut die Zahlen eines Unternehmens sind, wenn ich nicht verstehe, wie ein Unternehmen sein Geld verdient kann ich darin kein eigenes Geld investieren. Schaut euch die Unternehmens-Website an, lest euch Unternehmensberichte durch und nicht irgendwelche Instagram Beiträge, schaut euch die Investor Relations an, die Unternehmensführung…


Hört auf euer Bauchgefühl – richtig gelesen – Bauchgefühl, zumindest in der einen Richtung. Ihr habt in den ersten beiden Phasen schon so viel herausgefiltert, wenn euch hier euer Bauch sagt, dass ihr euch nicht wohl fühlt mit diesem oder jenen Unternehmen, dann investiert nicht.


Schaut euch die Konkurrenz an, was macht euer Unternehmen besser als die Konkurrenz? Wenn es mehrere Unternehmen aus einer Industrie in eure Auswahl geschafft haben, vergleicht die Zahlen. Insbesondere das ROCE eignet sich auch hervorragend, um Unternehmen aus derselben Industrie zu vergleichen.


So, das wars erstmal. Ich genieße jetzt noch ein wenig die kroatische Hitze. 🥵

Habt ihr Interesse an Teil 3?


Danke für euer Feedback, ich hoffe der Beitrag hat euch gefallen!




-Tom

(Und DANKE an die vielen ccf Nominierungen im letzten Beitrag an  u.a. @RoronoaZoro
@Hannes_SK und alle anderen)


Quellen (neben den im Text erwähnten):

https://www.investopedia.com/terms/g/grossmargin.asp

https://www.morningstar.com/investing-definitions/economic-moat

https://finance.yahoo.com/news/warren-buffett-explains-moat-principle-164442359.html

Keine Anlageberatung

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12 Kommentare

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Wieder ein sehr schöner und informativer Beitrag!
Persönlich kann ich aber leider weniger anfangen, da ich kein Buy&Hold mehr praktiziere und daher die Aktien auch nicht mehr so effizient scanne. Es sei denn, sie laufen mir beruflich über den Weg und die jeweiligen Vertreter mich von ihrem Geschäftsmodell überzeugen. 😅
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Vielen Dank für diesen Beitrag.
Ich werde mir mal in Ruhe den ersten und diesen Teil durchlesen.
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Starke Beiträge, Respekt! Aber wie verarbeitest du die ganzen Daten? Um nen Score nach den angegebenen Bedingungen zu errechnen, reichen meine Excel-Kenntnisse noch aus, aber die ganzen Zahlen per Hand einfügen dauert doch ewig :/
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