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Mein Nutzername verrät Kennern bereits eine gewisse Nähe zur Musik. Musik ist etwas Besonderes für mich – sie begleitet, spiegelt Stimmungen und bleibt oft dort, wo Worte enden. Also schaue ich mir in diesem Beitrag einmal die Musikbranche aus Investorensicht an: Wo entstehen hier eigentlich Werte, wer profitiert vom Streaming-Boom, und welche Unternehmen verdienen an der Rückkehr der großen Live-Erlebnisse?
Musik war schon immer ein Geschäft mit Emotionen – und mit Rendite. Seit Streaming das alte Modell der CD-Verkäufe abgelöst hat, hat sich die Branche zu einem globalen Daten- und Rechtegeschäft gewandelt. Heute verdienen nicht mehr nur Künstler, Labels und Konzertveranstalter, sondern auch Investoren, die auf digitale Plattformen, Rechtekataloge oder Live-Erlebnisse setzen. Die Musikindustrie ist kein Nostalgiethema mehr, sondern ein Sektor mit wiederkehrenden Cashflows, Plattformdynamik und dem Potenzial, in den nächsten Jahren eine der profitabelsten Kulturbranchen zu bleiben.
Die Pandemie war der Stresstest: physische Events fielen weg, Streaming dagegen explodierte. Seitdem wächst der Sektor doppelt – online und auf der Bühne. Laut IFPI ist der globale Musikmarkt zuletzt auf über 28 Milliarden US-Dollar gestiegen, getragen von mehr als 600 Millionen zahlenden Streaming-Abonnenten weltweit. Doch entscheidend ist weniger die Masse als die Monetarisierung. Wer heute investiert, sollte verstehen, wo der Hebel liegt: bei Plattformen, die Daten und Verhalten kontrollieren – oder bei Rechtehaltern, die über Jahrzehnte von denselben Songs profitieren.
Ein erster offensichtlicher Player ist $SPOT (-0,66 %) (Spotify Technology S.A.), die dominierende Streaming-Plattform mit über 600 Millionen monatlich aktiven Nutzern. Das Geschäftsmodell basiert auf Skalierung: Musikrechte werden lizenziert, Werbeumsätze und Aboeinnahmen steigen linear mit der Nutzerbasis. Nach Jahren des Wachstums tritt Spotify jetzt in die Phase der Margenexpansion ein. Preiserhöhungen in Kernmärkten, neue Produktstufen wie „Superfan Clubs“ und die Integration von Podcasts und Hörbüchern verschieben das Modell von Volumen zu Wert.
Kennzahlen: Umsatzwachstum rund 7 % YoY, EBITDA-Marge ~11,6 % → Rule of 40 ≈ 18,6 %. PEG Ratio ca. 2,1×, KGV ~45, Free-Cashflow-Yield rund 1,5 %.
Damit liegt Spotify klar unter dem idealen „Rule of 40“-Schwellenwert – Wachstum und Profitabilität sind solide, aber nicht exzellent. Für Investoren gilt: Die Story ist intakt, das Modell funktioniert, aber die Bewertung setzt nachhaltige operative Hebel voraus.
Auf der anderen Seite stehen die Rechte-Inhaber. $WMG (-1,66 %) (Warner Music Group) ist eines der drei großen Labels weltweit, neben Universal und Sony. Anders als Spotify besitzt Warner das Herz der Branche – die Songs selbst. Einnahmen aus Streaming, Synchronisation, Filmrechten und Live-Events sorgen für planbare Cashflows. Warner ist kein High-Growth-Wert, sondern eine klassische Cashmaschine mit strukturellem Rückenwind.
Kennzahlen: Umsatzwachstum ~6,4 %, operative Marge ~14 % → Rule of 40 ≈ 20,5 %. PEG Ratio ca. 2,0×, KGV ~34, Free-Cashflow-Yield ~2 %.
Damit bleibt Warner leicht unter dem Zielwert, was die reifere Unternehmensphase widerspiegelt: stabil, aber weniger dynamisch. Die Margen sind solide, der Burggraben real – Musikrechte laufen nicht ab. Kritisch bleibt der Umstand, dass Wachstum teuer erkauft wird: Künstlerverträge sind komplex, Kataloge kostspielig, und die Macht der Plattformen drückt die Marge. Dennoch ist WMG eines jener Unternehmen, die mit Zeit arbeiten, nicht gegen sie.
Zwischen diesen Polen – Plattform vs. Rechte – hat sich ein dritter Markt gebildet: der Handel mit Musikkatalogen. Firmen wie Hipgnosis Songs Fund, Round Hill Music oder Kobalt haben gezeigt, dass Musik-IP ein planbares Anlagegut sein kann. Die Renditen stammen aus Lizenzgebühren und Tantiemen, die selbst in Rezessionen weiterfließen. Private-Equity-Häuser wie $BX (-3,91 %) Blackstone und Apollo sind längst eingestiegen. Der Gedanke dahinter: Songs altern nicht, sie werden wiederentdeckt – auf TikTok, in Serien, in Werbung. Wer einmalige Rechte an einer Handvoll globaler Hits besitzt, hat eine Art musikalische Anleihe mit Inflationsschutz.
Doch die Musikindustrie endet nicht bei Rechten und Streams. Ein weiterer Wachstumsanker liegt in der physischen Erfahrung – den Live-Events. Hier dominiert$EVD (-0,31 %) (CTS Eventim AG & Co. KGaA) aus Deutschland, Europas größter Ticketing- und Konzertkonzern. Eventim vereint zwei hochprofitable Geschäftsmodelle: Plattform und Produktion. Über das Ticketnetzwerk kontrolliert das Unternehmen den Zugang zu Millionen Fans, während es gleichzeitig selbst als Veranstalter von Festivals, Arenashows und Tourneen auftritt. Die vertikale Integration – von der digitalen Buchung bis zur Bühne – schafft Margenvorteile und Preissetzungsmacht.
Kennzahlen: Umsatzwachstum ~6 %, EBITDA-Marge ~19 % → Rule of 40 ≈ 25 %. PEG-Ratio schwer vergleichbar (teilweise negativ, da zyklisches Geschäftsmodell), KGV ~29, Free-Cashflow-Yield ~3 %.
Eventim liegt also ebenfalls unter der Rule-of-40-Marke, überzeugt aber durch Preissetzungsmacht, Netzwerkeffekte und Cashflow-Stärke. Für Anleger bietet der Konzern eine Art Gegengewicht zu den digitalen Modellen – real, skalierbar und relativ unabhängig vom Streaming-Zyklus.
Vergleichend lässt sich festhalten: Alle drei Werte liegen unter der Rule-of-40-Schwelle, nutzen aber unterschiedliche Hebel: Spotify über Daten und Aboökonomie, Warner über Rechtebesitz und Lizenzströme, Eventim über Live-Erlebnisse und Preissetzungsmacht. Wer in die Musikbranche investiert, entscheidet letztlich zwischen Plattform, Katalog oder Publikum.
Eine alternative Route führt über den ETF $MUSQ , der Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette bündelt – von Labels über Streaming bis zu Live-Events. Für Anleger, die sich nicht für Einzelaktien entscheiden wollen, ist das eine effiziente Lösung. Der ETF mischt bekannte Namen wie Spotify, Universal, Warner oder Live Nation mit Technologiefirmen im Audio-Umfeld. Das Risiko liegt in der Korrelation: Musik ist ein kleiner, hoch konzentrierter Markt. Wer streuen will, sollte sich bewusst sein, dass diese Firmen global ähnliche Makro-Treiber haben – Werbemarkt, Konsum, Zinsen, Emotion.
Chancen und Risiken liegen eng beieinander. Die Chancen: Die Branche wächst weiter, Streaming-Umsätze steigen, Live-Geschäft boomt, und Musik-IP wird zum strategischen Asset. Die Risiken: Überbewertung, sinkende Margen, Regulierungsdruck und Plattformmacht. Entscheidend wird, wer Kontrolle über Daten und Distribution behält. Wer nur Inhalte liefert, wird austauschbar. Wer den Zugang steuert, diktiert den Preis.
Für Investoren bietet sich daher ein mehrstufiger Ansatz an: Plattformtitel wie Spotify für Wachstum, Rechtehalter wie Warner für Stabilität, Veranstalter wie Eventim für physischen Cashflow, spezialisierte IP-Fonds für passives Einkommen. Viele Aktien handeln mit Bewertungsprämien, die dauerhaftes Wachstum voraussetzen – doch die strukturelle Nachfrage nach Musik bleibt. Streaming wächst mit jeder Generation, Rechte werden nicht obsolet, und Live-Erlebnisse sind nicht digital substituierbar.
Ob die Musikindustrie tatsächlich ein neuer defensiver Wachstumssektor wird, hängt vom nächsten Zyklus ab. Bleiben Zinsen hoch, leiden kapitalintensive Rechtefonds; zieht die Wirtschaft an, profitieren Streaming und Live. Musik bleibt jedoch Konsumgut mit emotionalem Wert – und Emotion verkauft sich, auch in der Bilanz. Anleger, die in den Soundtrack der Welt investieren wollen, müssen sich entscheiden, ob sie lieber auf Daten oder auf Inhalte setzen. Auf Plattformlogik, Rechtebesitz oder Erlebnisse. In der Musikbranche kann alles funktionieren – wenn man den richtigen Takt trifft.
Fragen an die Community:
Wie bewertet ihr das Verhältnis zwischen digitalen und physischen Geschäftsmodellen in der Musikbranche?
Seht ihr Eventim als strukturellen Profiteur der neuen Live-Welle – oder bleibt Streaming das dominierende Investmentthema?

